Ein Beitrag von Prof. Dr. Gerhard Reiff, Vorsitzender der Geschäftsführung der KST-Motorenversuch GmbH & Co. KG.
Automobilhersteller aus allen Teilen der Welt sowie deren Zulieferer, Hersteller von Kfz-Antriebsbaugruppen und Komponenten, Produzenten von Großmotoren und nicht zuletzt Unternehmen der Mineralölwirtschaft als Hersteller von Kfz-Betriebsstoffen vertrauen seit über 50 Jahren der Kompetenz und Expertise des unabhängigen Entwicklungsdienstleisters und Prüffeldbetreibers KST-Motorenversuch GmbH & Co. KG.
KST verfügt neben mit modernster Messtechnik ausgestatteten und zertifizierten Prüfständen für alle Arten von Motoren und Komponenten über die erforderlichen Mess- und Analysesysteme zur Prüfung der speziellen Anforderungen an synthetische Kraftstoffe.
„Ein zentraler Pfeiler unserer Klimapolitik ist die Verkehrswende.“ – dies war die für die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie maßgebliche Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag. Inhaltlicher Maßstab für diese programmatische Ansage sind die Zielsetzungen der Europäischen Kommission, wonach die Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren sind und bis 2050 vollständige Klimaneutralität herzustellen ist. Dabei ist der Verkehrssektor mit einer Einsparung von 40 Prozent bis 2030 betroffen. Inwieweit die im Koalitionsvertrag vereinbarten verkehrspolitischen Maßnahmen ausreichen, diese Ziele zu erreichen, werden die nächsten vier Jahre zeigen.
Ein augenfälliger Schwerpunkt der Verkehrswende stellt die Elektrifizierung dar, was deutlich in den staatlichen Förderprogrammen beim Kauf von batterieelektrischen oder Hybridfahrzeugen zum Ausdruck kommt. Mittlerweile ist jeder fünfte neu zugelassene PKW ein Elektrofahrzeug, auch wenn der Ausbau der erforderlichen Ladeinfrastruktur insbesondere in der Fläche noch deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Erst in zweiter Linie ist der Bereich der Wasserstofftechnologie zu sehen, wobei zunehmend neben der Brennstoffzelle auch der Wasserstoffmotor als Antriebseinheit im Schwerlastverkehr an Bedeutung gewinnt. Und auch im PKW bekommen gerade beide Wasserstoffantriebs-technologien einen gewissen Aufwind.
Aber selbst wenn – wie im Koalitionsvertrag angenommen – bis 2030 mindestens 15 Millionen Elektrofahrzeuge zugelassen sind, bedeutet dies, dass bis 2030 etwa 15 Millionen Fahrzeuge zugelassen werden, die noch über einen klassischen Verbrennungsmotor verfügen werden, wenn man von durchschnittlich 3,5 Millionen Neuzulassungen pro Jahr – wie in den vergangenen Jahren – ausgeht. Hinzu kommt ein aktueller Bestand von rund 48 Millionen PKW, die durchschnittlich 9,8 Jahre genutzt werden und entsprechend – wenn auch mit abnehmender Tendenz – die Klimabilanz der kommenden Jahre belasten werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nahezu zwingend, sowohl den politischen als auch den technologischen Fokus stärker auf den Betrieb bzw. Weiterbetrieb von Verbrennerfahrzeugen mit nicht-fossilem bzw. synthetischem Treibstoff, sogenannten E-Fuels, zu lenken, um auch in diesem Bereich für ein zunehmendes Maß an Klimaneutralität zu sorgen.
Aber die Technologie ist nicht unumstritten. Hauptargument gegen die Verwendung synthetischer Kraftstoffe ist ihr geringer Wirkungsgrad und der hohe Produktionsaufwand bei der Herstellung. In der Tat ist es nicht von der Hand zu weisen, dass im Vergleich zum direkten Elektroantrieb die synthetischen Kraftstoffe einen deutlich schlechteren Gesamtwirkungsgrad aufweisen.
Allerdings wird gerade in diesen Bereich derzeit weltweit intensiv an Optimierungen in den Herstellungsverfahren geforscht. Eine zentrale Rolle spielt hierbei der Weiterentwicklung der Elektrolysetechnologien und die Entwicklung von Alternativen dazu, da die Gewinnung von Wasserstoff einen substantiellen Kostenbestandteil der synthetischen Kraftstoffe ausmacht. Diese Forschungsaktivitäten sind auch von hoher Relevanz für andere Industriebereiche die zukünftig große Mengen an Wasserstoff – allen voran die Stahlindustrie – zur Dekarbonisierung ihrer Prozesse benötigen.
Die Frage des geringen Wirkungsgrades synthetischer Kraftstoffe sollte auch im Hinblick auf ihre mittelbaren Folgewirkungen für das Gesamtökosystem relativiert werden. Die im Zug der Herstellung entstehenden Umwandlungs- bzw. Effizienzverluste in der Energiekette werden bei einer gesamthaften Betrachtung zumindest teilweise kompensiert durch die Nutzung vorhandener Infrastrukturen, Logistik und Speichermöglichkeiten. So könnte das bestehende Tankstellennetz für die Distribution synthetischer Kraftstoffe verwendet werden. Auf den unwirtschaftlichen Aufbau einer Elektro-Ladeinfrastruktur in verkehrsarmen Regionen könnte verzichtet werden. Vorgezogene Verschrottungen von Bestandsfahrzeugen mit Verbrenner-Technologie zugunsten von Elektrofahrzeugen wären mit einem noch zu definierenden Nachrüstungsvolumen überflüssig.
Eine kürzlich von KST in Zusammenarbeit mit der Hochschule Darmstadt durchgeführte Studie, in der vor allem das Erreichen der Norm für Dieselkraftstoff DIN EN 590 bei Blends aus Diesel mit GtL und Hexanol im Vordergrund stand, hat eindeutig ergeben, dass für das Erreichen unserer CO2-Ziele synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von regenerativ gewonnenem Strom, CO2 aus der Luft und Wasserstoff synthetisiert werden können und in einer Bestandsflotte durch Zumischung einsetzbar sind, ein CO2- Reduktionspotenzial von bis zu 33 Prozent realisierbar ist. Diese klare Indikation sollte dazu veranlassen, die im Markt vorhandenen Motoren auf ihre E-Fuel-Verträglichkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls, falls überhaupt notwendig, auf deren Verwendung hin zu adaptieren.
Nutznießer eines intensiveren Einsatzes synthetischer Kraftstoffe wäre insbesondere auch die Automobil-Zulieferindustrie. Das hohe, international anerkannte und wettbewerbsfähige technologische Niveau zum Verbrennungsmotor könnte weiter genutzt und ausgebaut werden. Und last but not least: Arbeitsplätze in diesem für viele Regionen bedeutenden Industriezweig könnten gesichert werden.
Dies setzt jedoch voraus, dass der E-Fuel Technologie sowohl forschungspolitisch als auch wissenschaftlich eine höhere Aufmerksamkeit zuteilwird, als dies gegenwärtig der Fall ist. In der aktuellen Entwicklung kommt ihr bestenfalls eine Nischenfunktion zu, was auch in dem staatlichen Fördervolumen zum Ausdruck kommt. Während die Wasserstofftechnologie mit circa neun Milliarden Euro und die Batteriezellenfertigung mit rund drei Milliarden Euro von der Bundesregierung gefördert werden, stehen für Erforschung, Erprobung und Herstellung von synthetischen Kraftstoffen lediglich rund 100 Millionen Euro staatliche Fördermittel zur Verfügung.
Dies wird dem theoretischen Potenzial synthetischer Kraftstoffe nicht gerecht. Kurz- und mittelfristig könnten sie eine wichtige Brückentechnologie insbesondere für solche Regionen darstellen, in denen mittel – und langfristig keine ausreichende Elektro- oder Wasserstoff-Ladeinfrastruktur zur Verfügung steht. Auch bieten E-Fuels eine kostenmäßig sicherlich konkurrenzfähige Möglichkeit weiterhin große Mengen an Energie zu importieren. Langfristig erscheint also ihr Einsatz als ein eigenständiges und integriertes Element einer umfassenden Dekarbonisierungsstrategie des Verkehrssektors – neben Elektro-und Wasserstoffantrieben – als zwingend notwendig.