Von Dr.-Ing. Olaf Sauer, Geschäftsfeld Automatisierung / Stellvertreter des Institutsleiters Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), Karlsruhe

Mit Industrie 4.0 verfügt Deutschland über einen Exportschlager – aber die Möglichkeiten von Industrie 4.0 sind noch lange nicht ausgeschöpft. Um die Potenziale für Unternehmen weiter zu nutzen, brauchen wir die unvoreingenommene Zusammenarbeit zwischen Produktions- und Informatikexperten zum Wohle unserer industriellen Basis in Deutschland. Gerade der hohe Anteil verarbeitender Industrie hat Deutschland maßgeblich geholfen, die letzten Krisen vergleichsweise gut zu bewältigen. Damit wir erfolgreich bleiben, müssen wir den digitalen Wandel aktiv gestalten, selbst das Heft in die Hand nehmen.

Für uns bei Fraunhofer heißt dies, die Digitalisierung von Produkten, Produktionsprozessen und deren Ausrüstung sowie die zugehörigen IT-Systeme und -Infrastrukturen als integrale Bestandteile zu sehen. Jedes Unternehmen braucht dringend eine eigene Roadmap für seinen eigenen Weg in die Digitalisierung seiner Produkte und Prozesse. Ein Angebot dafür ist die langfristige und zielgerichtete Kooperation von Industriepartnern mit der Karlsruher Forschungsfabrik, einer Initiative der Fraunhofer Gesellschaft und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Auf 5.000 m² Produktionsfläche mit modernster IT-Infrastruktur gestalten wir Produktionsprozesse, die man noch nicht vollständig beherrscht so, dass man damit trotzdem qualitativ hochwertige Produkte auf den Markt bringen kann. Angesichts der aktuell bestehenden Herausforderungen, z.B. Marktschwankungen oder einer immer höheren Zahl von Produktvarianten, können Ingenieure Produktionsprozesse nicht mehr vollständig ausspezifizieren. Früher haben sie Produktionsprozesse geplant und daraus Anlagen abgeleitet, diese Anlagen ausgeplant, konfiguriert, zusammengebaut und in Betrieb genommen. Heute laufen diese Schritte teilweise parallel ab. Gemeinsam mit Industriepartnern bringen wir in der Forschungsfabrik noch nicht vollständig spezifizierte Prozesse zum Laufen und erzeugen dennoch gleichzeitig qualitativ hochwertige Produkte, um mit einem neuen Prozess für ein neues Produkt sehr schnell den Markt zu bedienen. Hilfsmittel dafür sind massive (Über-) Instrumentierung der Prozesse mit Sensorik, datengetriebenes Maschinelles Lernen, Einbringen von Vorwissen aus der Prozessentwicklung und Regelungstechnik, z.B. um Prozessparameter aufgrund der aktuellen Qualitätsdaten inline anzupassen.

Mit der Karlsruher Forschungsfabrik erhalten Industrieunternehmen eine Umgebung, in der ihre Mitarbeitenden gemeinsam mit Wissenschaftlern und ggfs. weiteren Partnern kreativ und frei vom Tagesgeschäft tatsächlich Neues erdenken, entwickeln, prototypisch umsetzen und verbessern können – bis hin zur Herstellung erster Vorserienteile auf den Versuchsflächen der Fabrikhallen. Konkrete Anwendungsfälle: für ein neues Produkt einen neuen Prozess entwickeln oder zwei alternative Prozesse vergleichen, einen Manufaktur-Prozess in die nächste Stufe der robusten und wirtschaftlichen (Klein-) Serienfertigung bringen oder einen bestehenden Serienprozess mit Hilfe Maschinellen Lernens zu verbessern.

Vorzugsweise geschieht dies in »Corporate Innovation Labs«, in die Unternehmen ihre Mitarbeitenden für einen definierten Zeitraum in die Forschungsfabrik entsenden – als sog. Embedded Scientists. Sie arbeiten dann gemeinsam im Team mit Fraunhofer- und/oder KIT-Experten an den von vom Unternehmen definierten Aufgabenstellungen für innovative Produkte, datenbasierte Dienstleistungen oder neue Produktionsprozesse. Ein Lenkungskreis überprüft regelmäßig die Ergebnisse und steuert ggfs. angepasste oder neue Aufgaben in den Innovationsprozess ein. Die Embedded Scientists erhalten die Möglichkeit zur Promotion und kehren nach Abschluss als Multiplikatoren ins Unternehmen zurück.

www.forschungsfabrik-ka.de