Rezession und Strukturwandel treffen die Saarwirtschaft und hier insbesondere die Automobil- und Zulieferindustrie besonders hart. Bereits 2024 war der Branchenumsatz um ca. 15 Prozent zurück gegangen. Die strukturell von Transformationsanforderungen stark getroffene Zulieferindustrie meldet ebenfalls zweistellige Umsatzeinbußen. Werkschließungen wie die von Ford in Saarlouis nähren schlimmste Befürchtungen. Wird die Automobilindustrie im Saarland Opfer der Strukturkrise?

Prof. Schmidt: Die saarländische Automobilbranche erfährt durch die technologische Transformation zur E-Mobilität und die globale Konjunkturabschwächung einen doppelten Schock. Der hohe Umsatzrückgang im Jahr 2024 spiegelt nicht nur zyklische Effekte, sondern gibt auch einen Hinweis auf tieferliegende Strukturprobleme. Wobei die Schließung des Ford-Werks in Saarlouis sicherlich einen historischen Einschnitt markiert. Dies bedeutet nicht notwendigerweise das Ende der Automobilindustrie in dieser Region. Allerdings müssen wir uns darauf einrichten, dass nach einer erfolgreichen Transformation automobile Industriestrukturen mit geringeren Umsatz- und Beschäftigungsvolumina und auf anderen Technologiefeldern vorhanden sein werden.  

Transformationsprozesse sind für das Saarland ja nichts Neues. Ausgangs der 70er Jahre hatte man sich bereits erfolgreich aus der Monostruktur von Kohle und Stahl befreit und sich zu einem erfolgreichen Standort für Fahrzeugbau, Maschinenbau und Stahlindustrie entwickelt. Ist ein vergleichbarer Prozess jetzt ebenfalls zu erwarten oder ergeben sich andere Perspektiven? 

Prof. Schmidt: Der gegenwärtige Wandel im Saarland weist bemerkenswerte Ähnlichkeiten zur Montankrise der 1970er Jahre auf, als binnen drei Jahrzehnten 60.000 Bergbau- und Stahljobs verloren gingen. Damals gelang durch gezielte Ansiedlungspolitik und den Aufbau eines Zuliefernetzwerks die Neuausrichtung. Heute zeigt sich demgegenüber jedoch ein qualitativer Unterschied. Während der frühere Strukturwandel innerhalb produzierender Sektoren stattfand, erfordert die Dekarbonisierung systemische Innovationen über Industriegrenzen hinweg. Neue Wachstumspole bilden sich im Bereich der Wasserstofftechnologien und Halbleiterproduktion, wie die Ansiedlungsbemühungen um Wolfspeed zeigen. Parallel entsteht mit dem CISPA-Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit ein international sichtbarer IT-Forschungscluster, wenngleich diese Arbeitsplätze über viele Jahre hinweg wohl aus öffentlichen Mitteln finanziert werden.

Eine Ausnahme bildet die Stahlindustrie, die sich vom CO2-Emittenten zum Wasserstoffpionier transformiert – ein Paradigmenwechsel, der in den 1970ern undenkbar war. Aber es gibt auch Ökonomen, die vor überzogenen Erwartungen warnen. Eine infolge der Dekarbonisierung voraussichtlich sinkende Wertschöpfung muss durch komplementäre Dienstleistungen kompensiert werden, was in der Vergangenheit in Einzelfällen ja bereits erfolgreich umgesetzt werden konnte. Leider sind derzeit in diesem Sektor jedoch keine Schwerpunkte zu erkennen. Entscheidend für das Saarland wird sein, ob die Region ihre traditionelle Stärke in der metallverarbeitenden Industrie mit digitalen Geschäftsmodellen verbinden kann.

Inwieweit bedarf es staatlicher Interventionen, um den aktuelle Transformationsprozess erfolgreich zu gestalten? Hoch subventionierte, aber wahrscheinlich gescheiterte Ansiedlungsprojekte wie SVOLT und Wolfspeed sind nicht gerade ermutigende Beispiele.

Prof. Schmidt: Die ambivalente Bilanz staatlicher Interventionspolitik offenbart sich im Kontrast zwischen der doch gelungenen Stahltransformation und leider wohl gescheiterten Großansiedlungen. Während das 2,6-Milliarden-Euro-Programm für grünen Stahl bereits konkrete Investitionen in Direktreduktionsanlagen auslöste, stehen die Wolfspeed-Chipfabrik und die SVOLT-Batterieproduktion leider vor dem Aus. Aber auch hier bin ich sicher, dass von der saarländischen Landesregierung noch Alternativen entwickelt werden. Dabei wird es darauf ankommen, bei technologiepolitischen Setzungen Marktsignale richtig zu deuten und nicht zu ignorieren. Erfolgversprechend ist sicher das aktuelle Modell des Transformationsfonds, der seit 2023 über 200 Millionen Euro in die Digitalisierung des Mittelstands leitet.

Ein Lessons-learned-Effekt zeigt sich in der Kombination aus branchenspezifischen Förderinstrumenten – wie beim Stahl – und horizontalen Maßnahmen wie der versprochenen Energiepreiskompensation. Darüber hinaus sollte die gezielte Förderung von Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen nicht aus dem Fokus geraten, da gerade die hohe Qualifikation unserer Beschäftigten nach wie vor als signifikanter Wettbewerbsvorteil anzusehen ist.

Die saarländische Landesregierung setzt sich intensiv für den Erhalt der Stahlindustrie ein. Mit insgesamt 2,6 Mrd. € soll die ökologische Transformation der Stahlindustrie mit dem Ziel der Herstellung grünen Stahls unter Verwendung des Energieträgers Wasserstoff gefördert werden. Werden damit wettbewerbsfähige industrielle Zukunftsstrukturen geschaffen?

Prof. Schmidt: Das milliardenschwere Investitionsprogramm für CO2-armen Stahl markiert einen sprunghaften Technologieumbruch. Mit dem Ersatz von Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen sollen bis 2028 jährlich etwa 3,5 Millionen Tonnen grüner Stahl produziert werden. Dies reduziert die CO2-Emissionen um mehr als 50 % gegenüber 2022. Damit positioniert sich das Saarland als Vorreiter im europäischen Umfeld. Volkswirtschaftlich ergibt sich eine Dreifachdividende. In erster Linie werden mehr als 10.000 direkte Arbeitsplätze in der Stahlindustrie gesichert. Darüber hinaus führte die Nachfragebündelung zum Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft und unsere Region erfährt eine Attraktivitätssteigerung für klimasensible Abnehmerindustrien. Es gibt allerdings auch Risiken. Die geplanten Stromkosten von ca. 4 ct/kWh für die Elektrolyseure erscheinen angesichts aktueller Marktpreise von 7-8 ct/kWh eigentlich als zu hoch. Zudem drohen Beschäftigungsverluste durch Automatisierungsschübe, die zumindest teilweise durch Umschulungen kompensierbar sind. Das heißt, dass der Strukturwandel durch flankierende Regionalhilfen noch abzufedern ist.

Gut ausgebildete Belegschaften, eine hervorragende Anbindung an das europäische Straßen- und Wasserstraßennetz, eine anpassungsfähige mittelständische Industriestruktur sowie ein den hohen Ansprüchen genügendes Hochschul- und Universitätsumfeld waren und sind Assets, mit denen das Saarland in der Vergangenheit wuchern konnte. Inwieweit sind diese Faktoren für den aktuellen Transformationsprozess von Bedeutung?

Prof. Schmidt: Traditionelle saarländische Stärken erfahren jetzt in der Krise eine Neubewertung. Das saarländische Erfolgsmodell der dualen Ausbildung in metalltechnischen Berufen bildet eine gute Basis für Umschulungen in Wasserstofftechnologien. Dies zeigt auch das Qualifizierungsprogramm „H2Ready“ der SHS.  Der Saarhafen Dillingen entwickelt sich in diesem Zusammenhang zum Drehkreuz für Wasserstoffimporte. Dies begünstigt die Anbindung nordfranzösischer Industriezentren über die Mosel. Das CISPA treibt mit aktuell wohl 400 Wissenschaftlern die IT-Sicherheit autonomer Fahrzeuge voran, während die HTW Saar immer mehr Kooperationen mit Stahlunternehmen im Bereich Industrie 4.0 etabliert. Aber auch hier offenbaren sich Schwachstellen. Der MINT-Absolventenanteil im Saarland liegt mit ca. 20 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt von derzeit 27 Prozent. Dies erschwert die Rekrutierung von Digitalexperten.

Zurück zur Ausgangsfrage: Was überwiegt beim Prozess der industriellen Transformation hin zu einem dekarbonisierten, nachhaltigen und smarten Industrieumfeld an der Saar – Chancen oder Risiken?

Prof. Schmidt: Die industrielle Transformation des Saarlands präsentiert sich als asymmetrischer Prozess, bei dem kurzfristige Risiken und langfristige Chancen kollidieren. Einerseits droht durch die Abwanderung von Automobilzulieferern ein Dominoeffekt, der bis zu 18 Prozent der industriellen Wertschöpfung gefährdet. Andererseits entstehen mit der Wasserstoffwirtschaft und der Halbleiterforschung neue ökonomische Leitplanken. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die Dekarbonisierung als Modernisierungsbeschleuniger zu nutzen und mögliche Digitalisierungsgewinne zu realisieren. Die eigentliche Zäsur liegt  in der Notwendigkeit eines mentalen Wandels – weg vom reagierenden Krisenmanager und hin zum proaktiven Gestalter technologischer Sprünge. Mit Initiativen wie der „Pure Steel+“-Strategie der SHS und der Etablierung des Saarlands als europäisches Cybersecurity-Zentrum zeichnen sich erste Konturen für die Ökonomie ab. Ob diese Vision aufgeht, hängt maßgeblich auch davon ab, ob die Politik ihre Förderlogik von der Subventionsverwaltung hin zur Innovationspartnerschaft weiterentwickeln kann. Im Ergebnis bin ich zuversichtlich, dass angesichts des vorhandenen Chancenpotenziale ein erfolgreicher Wandel gelingen wird.

Web: www.iplnet.de

https://www.akjnet.de

Kontakt: klaus-juergen.schmidt@iplnet.de