Für die Produktion, deren Ausrüstung und Digitalisierung hat Deutschland beste Voraussetzungen, weil es ein breites Spektrum von Unternehmen gibt, die Produkte und Lösungen für alle denkbaren Fertigungs- und Montageanwendungen anbieten:
- produzierende Unternehmen, also Fabrikbetreiber, die effizient und wettbewerbsfähig hochwertige Teile, Baugruppen und Endprodukte für den nationalen und internationalen Markt herstellen,
- Systemintegratoren, die einzelne Maschinen und Anlagen zu Fertigungs- oder Montagelinien verketten,
- kleine und mittelständische Maschinenbauer, von denen viele in ihrem Marktsegment Weltmarktführer sind,
- Komponentenanbieter mit hochspezialisiertem Know-how zum Einsatz und zum Service ihrer Komponenten in verschiedenen Anwendungsgebieten und Märkten,
- Automatisierungsanbieter, die spezialisierte Produkte zur Steuerung, Regelung, Überwachung, Safety und Security von Arbeitsplätzen und Zellen in der Produktion liefern,
- Hersteller leistungsfähiger Microsystemtechnik sowie
- IT-Systemhäuser, die komplexe Geschäftsanwendungen zur Unterstützung einzelner Fertigungsaufgaben oder kompletter Fabriken entwickeln, liefern und warten.
Allein hochproduktive und zuverlässige Maschinen, Anlagen oder Komponenten zu liefern oder zu betreiben, wird zukünftig als Differenzierungsmerkmal und Basis des Geschäftserfolgs jedoch nicht mehr ausreichen. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel vom Produktverkauf zum Nutzenverkauf, sog. Produkt-Service-Systemen (PSS), die für neue Wertschöpfung sorgen und zukunftssichere Arbeitsplätze für hochqualifizierte Mitarbeiter sichern bzw. schaffen. Zusätzlich zu den traditionellen hardwarenahen Kompetenzen müssen Fabrikbetreiber und deren Ausrüster schnell umfassende Kompetenzen lernen und beherrschen, um neue Methoden und Werkzeuge wie Digitale Zwillinge, Datenökosysteme, Datensicherheit und -souveränität etc. nutzbringend um- und einsetzen zu können. Dies alles wird nicht im Alleingang erfolgreich sein: nur in Kooperation mit gleichgesinnten Partnern des gesamten Wertschöpfungsnetzwerks, in der jeder seine Stärken ausspielt, können die kombinierten Produkt-Service-Systeme erfolgreich auf den Markt gebracht werden.
Digitalisierung ist ein MUSS
Im Jahr 2012 hat die damalige Bundesregierung die vierte industrielle Revolution zu einem ihrer Zukunftsprojekte erklärt. Wirtschaft, Wissenschaft, Verbände und Gewerkschaften arbeiten eng zusammen, um Deutschland zu einem Leitanbieter und Leitmarkt neuer Technologien für die Fabrik der Zukunft zu machen, was nach einhelliger internationaler Meinung gelungen ist: Industrie 4.0 ist ein Exportschlager für Produktionsstätten weltweit. Jedes der Bildelemente Sensorik, Aktorik, Automatisierungseinrichtung (Steuerung) sowie der technische Prozess ist von der zunehmenden Digitalisierung betroffen und verändert sich durch Vernetzungs-, Kommunikations- und Datenverarbeitungsfähigkeit entsprechend. Die Integrierte Forschungsagenda CPS [1], die als Grundlage des Begriffes „Industrie 4.0“ dient, beschreibt diese Entwicklung im Einzelnen. In der Standardisierung können die Arbeitsgruppen der Verbände Ergebnisse vorweisen: Industrie 4.0-Komponente und -Verwaltungsschale, das Referenzmodell und Begriffsdefinitionen sind vereinheitlicht, so dass in der Industrie 4.0 alle Komponenten interoperabel kommunizieren können.
Datenökosysteme als nächster Schritt zur Digitalisierung
Die Grundannahme für industrielle Datenökosysteme liegt darin, dass durch unternehmensübergreifendes Teilen von Daten mehr Potenzial gemeinsam auszuschöpfen ist, als durch unternehmensinterne Verbesserungen einzelner Prozesse. Neben dieser IKT-zentrierten Argumentation ist zu beobachten, dass die Fabrikausrüster und -betreiber durchaus gewillt sind zu digitalisieren, dass für sie aber oft die erforderlichen Investitionen durch den gestifteten Nutzen nicht gerechtfertigt werden. Datenökosysteme adressieren deshalb auch die bessere Skalierung digitaler Technologien und Angebote.
Grundsätzlich hat sich der Datenaustausch in Produktions- und Liefernetzwerken etabliert, hauptsächlich jedoch bislang meist zwischen zwei Partnern auf Basis von vorab vereinbarten Regelungen. Produzierende Unternehmen nutzen bereits Plattformen – oftmals diejenigen der außereuropäischen Hyperscaler – zum Sammeln, Aufbereiten und Auswerten von Daten, allerdings meist innerhalb von Unternehmensgrenzen. Der Aufbau von unternehmensübergreifenden Datenökosystemen beginnt derzeit. Erste Datenräume, zum Beispiel für Mobilität (‚Mobility Data Space‘) [2], die Automobilindustrie [3], in der Landwirtschaft [4] oder in der Logistik [5] etc. sind im Aufbau und teilweise schon in der Nutzung. Beispiele zeigen, dass auch Fabrikausrüster und -betreiber Prinzipien wie multilateralen Datenaustausch, Interoperabilität, Datensouveränität, etc. nutzen [6]. Im produzierenden Gewerbe wurden deshalb, getrieben durch Industrie 4.0, in der Vergangenheit viele Lösungen für Plattformen und datenbasierte Services entwickelt, die allerdings aufgrund der Ausrichtung auf die Produkte des jeweils anbietenden Unternehmens und der notwendigen Integrationskosten nicht hinreichend skalierten. Firmen haben daher die Entwicklung eingestellt bzw. verkauft (Beispiele sind ADAMOS oder Axoom). Datenökosysteme verfolgen daher den wesentlich vielversprechenderen Ansatz, auf Basis einmalig gemeinsam entwickelter Basisdienste interoperable Geschäftsanwendungen zu erstellen; Fabrikbetreiber und -ausrüster können ihre in Form von Use Cases beschriebenen Aufgaben und ähnliche Fragestellungen lösen. Die Interoperabilität sichert die Skalierbarkeit.
Wer übernimmt den Betrieb eines Datenökosystems?
Der Betrieb der Infrastruktur eines Datenökosystems bildet die Basis dafür, dass Unternehmen Daten miteinander austauschen können, um so ‚mehr‘ aus ihren Daten zu machen. Dabei verbleibt die Hoheit über die Daten bei demjenigen, der sie erzeugt; die Datenhaltung bleibt dezentral. Eine Betreibergesellschaft (Bild 1) stellt die technischen Grundlagen zum Datenaustausch bereit, weiß jedoch nichts über die Inhalte der ausgetauschten Daten und speichert sie auch nicht zentral ab. Aktuell existieren bereits erste Betreibergesellschaften für Datenökosysteme, für Manufacturing-X ist Cofinity-X die Referenz-Betreiberin, da sie das Betriebsmodell von Catena-X umsetzt. 10 große deutsche Unternehmen sind zu gleichen Teilen Gesellschafter von Cofinity-X, u.a. SAP, Siemens, BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen, ZF und BASF. Im Projekt Factory-X, einem weiteren Leuchtturmprojekt für Datenökosysteme, erarbeiten die Partner ein Betriebsmodell für die Branche der Ausrüster und Betreiber von Produktionsanlagen, das für ein Bieterverfahren einer Betreibergesellschaft für den mittelständisch geprägten Maschinenbau genutzt werden soll.
Bild 1: Rolle der Betreibergesellschaften in Datenökosystemen (Quelle: in Anlehnung an [7])
Chancen für Start-ups und Dienstleister
Derzeit werden Datenökosysteme auch für die produzierende Industrie aufgebaut; im eingeschwungenen Zustand, d.h. nach einer gewissen Zeit nach Abschluss der jeweiligen branchenbezogenen Förderprojekte, ergeben sich Geschäftsmöglichkeiten für neue Marktteilnehmer aufgrund neuer Aufgaben und Rollen (Bild 2).
Bild 2: Rollen in Datenökosystemen (Quelle: [7])
Ein Datenintermediär kommt beispielsweise in folgendem Szenario ins Spiel: mittelständische Komponentenhersteller liefern ihre hochwertigen Erzeugnisse an zahlreiche nationale und internationale Lösungsanbieter/Maschinenbauer, Systemintegratoren und/oder Fabrikbetreiber. Diese Komponenten laufen im Feld und erzeugen permanent Betriebs- und Laufzeitdaten. Aufgrund ihrer Größe und Charakteristik als Fabrikbetreiber, Sondermaschinenbauer oder Komponentenlieferanten haben diese Firmen keine Kapazität und kein ausreichendes Know-how, um die einzelnen Verbindungen zu den Maschinen oder Komponenten zu verwalten und aufzubauen, die entstehenden Daten zu sammeln, aufzubereiten, zu aussagefähigen Ergebnissen zusammenzufassen und Rückschlüsse daraus zu ziehen. Diese Aufgaben kann ein ‚Datenintermediär‘ übernehmen und damit neue datenbasierte Services anbieten [8] bzw. im Auftrag der Betreiber, Maschinenbauer oder Komponentenhersteller ausführen.
[1] Geisberger, E.; Broy, M. (Hrsg.): agendaCPS: integrierte Forschungsagenda Cyber-Physical Systems. Springer-Verlag, 2012.
[2] https://mobility-dataspace.eu/de, letzter Aufruf am 05.02.2025
[3] https://catena-x.net/de/, letzter Aufruf am 05.02.2025
[4] https://agridataspace-csa.eu/, letzter Aufruf am 05.02.2025
[5] https://www.silicon-economy.com/, letzter Aufruf am 05.02.2025
[6] https://smart-connected.nl/de, letzter Aufruf am 05.02.2025
[7] Otto, B.; Seidelmann, J.; Schmelting, J.; Sauer, O.: Vorstudie Datenraum Manufacturing-X – Architektur, Basisdienste und Organisation unter Berücksichtigung der Spezifika der ausrüstenden Industrie. Herausgegeben vom VDMA und ZVEI. Juli 2023.
[8] Forschungsbeirat Industrie 4.0/acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Hrsg.): Aufbau, Nutzung und Monetarisierung einer industriellen Datenbasis, 2022, DOI: 10.48669/fb40_2022-06.
Autor: Dr.-Ing. Olaf Sauer
Geschäftsfeld Automatisierung / Stellvertreter des Institutsleiters
Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB)
Grafiken: Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB)
Verlinkung
https://industry-insights.podigee.io/32-sauer-fraunhofer-iosb-manufacturingx-industrie-forschung