Ein Beitrag on Dr. Carsten Meier, Geschäftsführer der IHK Saarland und Mitglied im Vorstand von autoregion e.V.
Zweifellos ist die aktuelle Entwicklung der wirtschafts- und geopolitischen Rahmenbedingungen für die Automobil- und Zulieferindustrie herausfordernd: Ukraine-Krieg, hohe Energie- und Rohstoffpreise, explodierende Corona-Fallzahlen in China, gestresste Lieferketten, schwache und unsichere Weltkonjunktur, erschwerter Markzugang in den USA durch die Umsetzung des Inflation Reduction Act, steigende Zinsen und vieles mehr. Darüber hinaus müssen die Unternehmen auch noch die Herausforderungen der ökologischen und digitalen Transformation bewältigen. All das wird die Kosten für die Unternehmen weiter erhöhen und damit den Spielraum für Investitionen und Beschäftigungsaufbau einengen. Im Saarland wird zudem die Standortentscheidung von Ford zugunsten von Valencia nicht ohne Folgen für die Zulieferindustrie hierzulande bleiben, die ohnehin schon unter einem enormen Anpassungsdruck steht.
Die Transformation aktiv managen
Dennoch bin ich grundsätzlich optimistisch und überzeugt von der Widerstandskraft und der künftigen Performance der Automotive-Branche. Denn die deutsche Automobilwirtschaft ist seit langem erfolgreich in der Transformation. Auf diese Weise ist es der deutschen Leitindustrie über viele Jahre hinweg stets sehr gut gelungen, die globale Pole-Position bei den Themen Innovation, Qualität, Design und Image zu verteidigen. Auch heute – in einer Zeit, in der multiple Krisen zum Normalfall geworden sind – wissen die Unternehmen der Automotive-Branche sehr genau, wie sie auf die oftmals sprunghaften Veränderungen der ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angemessen reagieren müssen: Erstens, indem sie notwendige Veränderungen und damit verbundene schwierige Herausforderungen als Chance wahrnehmen. Zweitens, indem sie die gesamte Organisation und deren Produktpalette pro-aktiv, mutig und entschlossen auf die Zukunft ausrichten. Vor allem aber, indem ihre CEOs den anspruchsvollen Transformationsprozess aktiv und konsequent managen.
Das Produktions- und Liefernetzwerk stärker regionalisieren …
Zahlreiche Unternehmen der Automotive-Branche haben durch massive Investitionen neue Geschäftsfelder erschlossen, die Digitalisierung vorangetrieben und die eigenen Strukturen gegenüber den zunehmenden weltwirtschaftlichen und geopolitischen Risiken widerstandsfähiger gemacht. Widerstandsfähiger in der Weise, dass sie damit begonnen haben, ihr Produktions- und Liefernetzwerk stärker zu regionalisieren. Aktuell ist insbesondere der letzte Punkt von entscheidender Bedeutung, denn die pandemischen und geopolitischen Engpässe, z. B. bei Energie, Rohstoffen und elektronischen Bauteilen, haben uns sehr deutlich die Achillesferse der Globalisierung vor Augen geführt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung sind für die Exportnation Deutschland und das Saarland definitiv nicht von der Hand zu weisen – im Gegenteil. Richtig ist aber auch: Die Abhängigkeit von einzelnen Staaten auf den Gebieten Energie, Rohstoffe sowie Halbleiter und Computerchips ist hoch riskant. Trotz gegenwärtig leichter Entspannungen ist der Druck auf die Lieferketten weiterhin hoch. Die dauerhafte Sicherung der Produktions- und Lieferketten ist daher unerlässlich. Für die Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie bedeutet dies grundsätzlich: Mehr Diversifizierung und Regionalisierung ihres Produktions- und Liefernetzwerkes, um dadurch mit Blick auf die aktuellen wie künftigen Krisen resilienter und robuster zu werden. Klar ist aber auch, so richtig und wichtig Nearshoring bzw. Reshoring gerade in Krisenzeiten auch ist – dies darf nicht dauerhaft zulasten von Effizienz und Flexibilität gehen.
.. und auf europäischer Ebene absichern
Da die Kostenbelastung aber angesichts auch künftig hoher Energie- und Arbeitskosten steigen wird, müssen die Institutionen auf europäischer Ebene diesen Prozess mit einem Bündel an Maßnahmen begleiten. Erstens durch die Verabschiedung von strategischen Rohstoffpartnerschaften. Denn der industrielle Wandel erfordert eine neue Rohstoffbasis. Rohstoffpolitik ist insofern immer auch Klima- und Standortpolitik. Und nur auf dieser politischen Ebene können die Rahmenabkommen geschlossen werden, die es der Industrie in Europa anschließend rechtssicher ermöglichen, entsprechende unternehmerische Initiativen und Projekte zu starten. Zweitens durch die Stärkung des Freihandels, etwa durch Freihandelsabkommen der EU mit den USA mit dem klaren Ziel eines Abbaus der Zölle für Kraftfahrzeuge, Teile und Komponenten. Und schließlich durch den Ausbau der technologischen Führungsrolle Europas entsprechend der Vision der europäischen Chip-Strategie.
Im Bund wird die Bundesregierung eine Strategie brauchen, die den Unternehmen hilft, aus der Krise herauszuwachsen. Erforderlich ist hier die Senkung der Unternehmenssteuern auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau, um dadurch die unternehmerische Investition- und Innovationskraft zu erhöhen. Mindestens ebenso wichtig ist es aber auch, die Grundlage zu schaffen, auf der Innovationen der Zukunft entstehen können. Wir brauchen eine „Zeitenwende“ auf den Gebieten Innovation und Technologietransfer! Mehr Tempo bei der Umsetzung der digitalen Agenda und eine echte Offenheit für neue Technologien (Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe) anstelle einer einseitigen Fokussierung auf den batteriegetriebenen Elektroantrieb sollten aus Sicht der IHK Richtschnur des Handelns sein.
Die Wirtschaftsstruktur diversifizieren und den Industriestandort Saarland sichern
Mindestens genauso nötig sind Antworten auf die Frage, wie der Industriestandort Saarland wettbewerbsfähiger und damit langfristig gesichert wird. Die IHK hat hierzu zahlreiche substanzielle Vorschläge gemacht. Und die Kammer hat im Rahmen der politischen Beratung konkrete Handlungsempfehlungen und Appelle an die politischen Entscheidungsträger adressiert. Die Stichworte hierzu lauten unter anderem Senkung der überbordenden Standortkosten, Investitionsoffensive, vorausschauende Industrie und Gewerbeflächenpolitik und vieles mehr. Erfolgreiche strukturelle Transformation im Saarland bedeutet aber auch: Die Wettbewerbsfähigkeit des industriellen Kerns erhalten und gleichzeitig die Wirtschaftsstruktur weiter diversifizieren und resilienter machen. Letzteres erfordert aufgrund der Branchengewichte insbesondere die erfolgreiche Ansiedlung von innovativen Technologieanbietern für zukünftige nachhaltige Mobilität sowie die Etablierung „grüner“ Technologien. In diesem Zusammenhang wäre die erfolgreiche Ansiedlung von SVOLT ein wichtiges Signal, dass alle Politikebenen im Land den Strukturwandel ernsthaft angehen.
Exzellente Bedingungen für neue zukunftsweisende Wertschöpfungszentren schaffen
Zugleich sollte die Landespolitik den Prozess der strukturellen Transformation auch dadurch begleiten, dass sie exzellente Bedingungen für neue zukunftsweisende Wertschöpfungszentren und -netzwerke schafft – etwa in der Batterie- und Brennstoffzelltechnik oder in der Kreislaufwirtschaft. Hier besteht erhebliches Potential. Denn der Aufbau von Recyclingkapazitäten für Antriebsbatterien von Elektrofahrzeugen oder gar die Zerlegung und das Recycling von kompletten Fahrzeugen (Re-Factoring) im großen Stil kommt in Europa nur schleppend voran. Ziel sollte es daher sein, im Saarland im Verbund mit Luxemburg und der Région Grand Est in Frankreich ein Ökosystem der Circular Economy zu schaffen. Voraussetzung dafür sind spürbare Anreize für mehr Innovationen auf den Feldern Kreislaufwirtschaft, Ressourceneffizienz und Recycling. Gelingt dies, könnte die Region auf diesem Gebiet im Verbund mit einer erfolgreichen SVOLT-Ansiedlung eine Pionierrolle einnehmen. Aber die Zeit drängt!
Dem Saarland mit seinen Wertschöpfungsschwerpunkten in der Stahlerzeugung und -verarbeitung, dem Fahrzeugbau und dem Anlagenbau bietet darüber hinaus die Wasserstoffwirtschaft enorme Chancen. Damit Wasserstoff zu einem Wachstumstreiber an der Saar werden kann, sind hierfür zügig die Grundlagen zu schaffen. Erforderlich ist eine konsistente und weitsichtige „Wasserstoffroadmap“, deren Umsetzung Potentiale entlang der bestehenden und künftigen Wertschöpfungskette bietet.
Allen ökonomischen Verwerfungen zum Trotz haben Krisen ein Gutes: Sie sind Treiber von Veränderung und Innovationsbeschleuniger. Sie fordern von uns, uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen, sondern alte Pfade zu verlassen und neue innovative Wege zu beschreiten. Packen wir es gemeinsam an! Mit Mut, Tatkraft und viel Zuversicht! Die IHK Saarland und autoregion unterstützen Sie auch weiterhin mit viel Leidenschaft und Engagement. Sprechen Sie uns gerne an!