Ein Beitrag aus OEM&Lieferant, Ausgabe II/2020 von Dr. Philipp Kinzler, Stephan Schulz und Claudio Mager aus dem Restructuring Services Team bei Deloitte

COVID-19 zeigt deutlich, wie empfindlich die heutigen eng verzahnten Lieferketten in der Automobilindustrie auf Nachfragerückgänge reagieren. Die Entscheidungsfindung im Hinblick auf finanzielle oder operative Unterstützung der Lieferanten durch Abnehmer mündet aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen oftmals in verhärteten Fronten. Ein Lieferantenrisikomanagement mit Kompetenz im finanziellen, operativen und juristischen Bereich ist mehr denn je von zentraler Bedeutung.

In den vergangenen Jahren fand durch die Auslagerung von Produktionsschritten und einer damit einhergehenden Erweiterung der Wertschöpfungstiefe der Zulieferer eine zunehmende Verzahnung der Lieferketten in der Automobilindustrie statt. In Krisenzeiten kann die Lieferkette aufgrund der höheren gegenseitigen Abhängigkeiten schnell in Gefahr geraten.

Einen Lieferantenwechsel zu vollziehen ist gerade wegen der engen Verzahnung und benötigten Zertifizierungen kosten- und zeitintensiv bzw. kurz- und mittelfristig nicht möglich. Zusätzlich droht in der Übergangs- und Anlaufphase eine Gefährdung der Versorgungssicherheit. Daher werden kriselnde Lieferanten kritisch geprüft und gegebenenfalls unterstützt.

Adressierung divergierender Interessen über neutrale Drittpartei
Abnehmerseitig liegt das Hauptaugenmerk auf der Gewährleistung der Liefersicherheit sowie der fundierten Kalkulation potenzieller Sanierungsbeiträge. Daher besteht das berechtigte Interesse, Transparenz zu schaffen, um das Risiko eines Lieferkettenabrisses sowie die Höhe und genaue Verteilung der Unterstützungsleistung auf die Abnehmer ermitteln zu können.

Der Lieferant hingegen benötigt meist kurzfristige finanzielle Unterstützung, da sonst die Lieferfähigkeit nicht mehr garantiert ist. Die Forderungen können sich daher auf einen finanziellen Beitrag des Abnehmers beschränken oder, bei einer Veränderung der Nachfragesituation, auch in Preiserhöhungen ausdrücken. Letztere werden oftmals einseitig damit begründet, dass vereinbarte Einsparungsziele auf Basis der neuen Nachfragesituation oder veränderten exogenen Faktoren nicht mehr erzielt werden können und die Deckungsbeiträge nicht mehr ausreichen, um die Gemeinkosten zu tragen. Die 2020 von Deloitte veröffentlichte Studie „Lieferanten-Risikomanagement in der Automobilindustrie“ zeigt, dass sich manche Unternehmen mit einer liquiditätsseitigen bzw. vor-Ort-Unterstützung ihrer Lieferanten nach wie vor schwertun.

Trotz der unterschiedlichen Interessenlage beider Parteien mit oftmals verhärteten Fronten besteht zumeist ein hohes Interesse, die Geschäftsbeziehung fortzusetzen. Eine neutrale und vertrauenswürdige Drittpartei kann in einer solchen Situation hilfreich sein, indem sie die Situation unparteiisch beurteilt und in kürzester Zeit Lösungsvorschläge erarbeitet. Optional kann durch den Einsatz eines sogenannten „Clean Teams“ die Arbeit auf Lösungen zwischen dem Lieferanten und all seinen Kunden ausgeweitet werden. Der entsprechende Partner sollte dabei international aufgestellt sein, Expertise in finanziellen und operativen Fragestellungen aufweisen und über die notwendigen Tools und Branchenexpertise verfügen.

Schnelle Einschätzung der Ausgangslage ist entscheidend
Der Fokus der initialen Analysen liegt vor allem auf der Liquiditätssituation, wobei der akute Finanzierungsbedarf über eine kurzfristige, direkte Liquiditätsplanung auf Wochenbasis abzuleiten ist. Parallel dazu ist die operative Performance in einem Quick Check vor dem Hintergrund der Fähigkeit zur Rückzahlung der Sanierungsbeiträge zu analysieren. Die Ergebnisse des operativen Quick Checks werden in die finanzielle Analyse überführt und Bestandteil der integrierten Sanierungsplanung.

Verknüpfung der Kostenstruktur mit der operativen Performance macht den Unterschied
Für den Fall von geforderten Preiserhöhungen durch Lieferanten spielt die Analyse der Kostenstruktur des relevanten Produktportfolios eine zentrale Rolle, um die Preiserhöhung zu verifizieren oder zu widerlegen. Oftmals weicht die Aufschlüsselung der Herstellkosten signifikant von der Einschätzung des Abnehmers ab.

Gerade bei den Materialkosten treten häufig Unterschiede zu Tage. Hierzu gehören einerseits die Einschätzungen des Abnehmers in Bezug auf die Realisierungsmöglichkeit von Materialpreisen, andererseits aus Sicht des Lieferanten Restlaufzeiten und Abnahmemengen.

Bei der Ermittlung der notwendigen Unterstützungsmaßnahmen ist die Analyse der operativen Leistungsfähigkeit des Lieferanten entscheidend, hierbei stehen die Produktionskennzahlen im Vordergrund. Ebenso wird die Möglichkeit zur Reduzierung von Verschwendung in der Produktion unter Lean Management-Gesichtspunkten entlang des Wertstromes analysiert. Personalkosten werden mit Hilfe von Benchmarks und die Schichtplanung anhand von Best Practice-Modellen aus der Branche verglichen. Die übrigen „SG&A“-Kosten, welche im Industriegüterbereich 20% der Gesamtkosten betragen können, werden ebenfalls kritisch im Hinblick auf ihre Notwendigkeit überprüft.

In der Verknüpfung der Ergebnisse der operativen Performance mit den ermittelten Herstellkosten ergibt sich ein ganzheitliches Bild aus notwendigen Unterstützungsmaßnahmen. Gleichzeitig wird definiert, welchen Beitrag der Lieferant selbst über ein Maßnahmenpaket leisten kann und muss.

Diese Transferleistung fällt in der Praxis aufgrund der umfassenden benötigten Fähigkeiten bestehend aus finanzieller, operativer und juristischer Expertise oftmals nur ungenügend aus. Dies impliziert nicht nur die Gefahr, potenzielle Sanierungsbeiträge inkorrekt zu ermitteln, sondern auch die Geschäftsbeziehung zu gefährden. Erfahrene operative Experten mit der notwendigen Industrieerfahrung können hier, durch die Arbeit vor Ort, positiv entgegenwirken.

Positive Effekte bereits in der Analysephase
Ein schneller Start der Analysephase trägt dazu bei, das Ausmaß der Krise sichtbar zu machen und erhöht das Verständnis beider Parteien für die aktuelle Situation.

Oftmals eignet sich zur Unterstützung eine Drittpartei. Diese agiert in der angespannten Situation zwischen Abnehmer und Lieferant neutral und entlastet im Sinne einer zielorientierten und effizienten Datenanalyse. Zusätzlich kann sie im Rahmen der Gesprächsmoderation zur Seite stehen. Das Fachwissen auf finanzieller, operativer und juristischer Ebene und ein moderiertes Arbeiten an einer Lösung auf Basis eines ganzheitlichen Bildes über die Performance des Lieferanten schafft Klarheit und erhöht die Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen.

Üblicherweise können durch eine auf die wesentlichen Fragestellungen konzentrierte Analysephase und die Herstellung von Transparenz innerhalb oftmals intransparenter und nicht integrierter Datenquellen bereits ab Tag eins positive und messbare Effekte erzielt werden. Den Erfolg jedoch machen dabei die identifizierten operativen Maßnahmen aus, die dem Lieferanten helfen, seinen Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten und dazu führen, dass für den Abnehmer die Preise mittelfristig wieder sinken.

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