Unrealistische Budget- und Terminvorgaben, mangelnde Kommunikation oder konfrontativ gestaltete Projektverträge: Die Aspekte, die zu Verzögerungen und Kostensteigerungen bei Bauvorhaben in der Automobilbranche führen, sind vielfältig. Im Interview mit OEM&Lieferant erklären Andreas Spathelf (Geschäftsführer) und Thomas Bahnert (Dipl. Ing. Architekt / Senior Experte für Honorarverträge) von THOST Projektmanagement, wie die Projektabwicklung von Bauvorhaben durch einen integrierten Ansatz optimiert werden kann.

Was steckt hinter dem Ansatz, Projekte integriert zu entwickeln?

Thomas Bahnert: Gerade größere Bauprojekte werden immer vielfältiger und komplexer. Termin-, Kosten- und Qualitätsziele zu erreichen, stellt dabei eine große Herausforderung dar. Das beobachten wir auch bei Bauvorhaben in der Automobilbranche – sei es der Bau einer neuen Produktionshalle oder eine Erweiterung oder Sanierung von bestehenden Gebäuden. Fakt ist: Werden die obigen Ziele nicht erfüllt, liegen die Ursachen hierfür häufig schon in der frühen Planungsphase des Projekts. Unrealistische Budget- und Terminvorgaben, mangelnde Kommunikation unter den Beteiligten, das Bestreben unverhältnismäßiger Risikoverlagerungen vom Bauherrn auf die Projektbeteiligten sowie konfrontativ gestaltete Projektverträge sind hier nur einige Beispiele. Einen Lösungsansatz, um genau diese Szenarien zu vermeiden und den Ablauf von Bauvorhaben in der Automobilbranche zu optimieren, bietet die integrierte Projektabwicklung – kurz IPA.

Andreas Spathelf: Die IPA basiert auf einer partnerschaftlichen Kollaboration aller Beteiligten. Diese Organisationsform lebt von der Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten „auf Augenhöhe“. Statt strenger linearer Hierarchien gilt es, die Projektziele gemeinsam zu formulieren und zu erreichen. Wie genau die Umsetzung dieses Ansatzes aussieht, ist sehr variabel und ist projektspezifisch auszugestalten. Manche partnerschaftlich gestalteten Projekte fußen auf eher traditionellen Einzelverträgen, die allerdings kooperative Elemente enthalten, wie beispielsweise Streitbeilegungsverfahren. Andere reichen wiederum bis hin zu Mehrparteienverträgen und einer gemeinsamen Projektgesellschaftsgründung beziehungsweise Allianzverträgen. Die gemeinsamen Verträge bilden dann den Rahmen für die Projektabwicklung. In der Umsetzung kommen verschiedenste Methoden zur Realisierung eines Bauvorhabens zum Tragen, wie etwa Building Information Modeling (BIM) oder Lean Management. Insbesondere spielen aber ausgewogene und transparente Vergütungsmodelle sowie Allianzsysteme eine entscheidende Rolle. 

Worin besteht der Unterscheid zur klassischen Projektabwicklung und welches Potenzial sehen Sie in der integrierten Projektabwicklung?

Andreas Spathelf: Bei der klassischen Abwicklung eines Projekts schließen in der Regel die wesentlichen Stakeholder einen Vertrag mit dem Bauherrn. Das sorgt häufig dafür, dass jeder Vertragspartner den Fokus auf die Erreichung seiner individuellen Ziele legt. Das Interesse besteht so eher im eigenen wirtschaftlichen Erfolg – auch weil oft der Versuch unternommen wird, die Risiken des Bauprojekts vom Bauherrn auf Projektbeteiligte zu verschieben. Dies führt häufig zu einer Arbeitskultur, die von fehlender Kommunikation und gegenseitigem Misstrauen geprägt ist.

Thomas Bahnert: Schaut man sich hingegen die vorhin angesprochene Möglichkeit eines partnerschaftlichen Vertrags an, sieht das ganz anders aus. Ein solcher Vertrag regelt beispielsweise einen gemeinsamen Risiko- und Chancentopf. Damit sind alle Beteiligten daran interessiert, potenzielle Risiken zu vermeiden und mögliche Chancen im Projekt zu realisieren. Kostensenkungen und Zeitverkürzungen sind dadurch durchaus möglich und es profitieren alle davon. Die Beteiligten begreifen sich stärker als Einheit, die dasselbe Ziel verfolgt. Das stärkt auch den Teamgeist. Wir sehen außerdem erhebliches Potenzial darin, dass durch die IPA alle Verantwortlichen früh in das Bauvorhaben eingebunden und unnötige Schnittstellen vermieden werden. Eine homogenere Projektlandschaft macht es zudem einfacher, agile Projektmanagementmethoden und Verbesserungsprozesse wie beispielsweise digitale Gebäudemodelle zu implementieren.

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Für welche Projekttypen der Automobilbranche ist die IPA besonders attraktiv?

Andreas Spathelf: Ein integrierter Ansatz ist besonders für komplexe oder langlaufende Projekte spannend. Dabei muss es nicht immer um den Bau eines neuen Gebäudes wie beispielsweise einer Produktionshalle gehen. Auch bei Projekten rund um die Infrastruktur und zur Versorgung von Automobil- und Automobilzulieferungsbetrieben kann die IPA eine geeignete Wahl sein. Zwar muss die Anwendung der integrierten Projektabwicklung stets individuell geprüft werden, in der Automobilbranche ist sie aber besonders interessant, wenn Projekte im laufenden Betrieb umgesetzt werden sollen. Dazu kommt, dass die IPA die nötige Flexibilität in den zu definierenden Umfängen und Abläufen zulässt, gerade wenn die Umsetzung eines Vorhabens noch nicht detailliert geplant ist.

Was sind aktuelle Entwicklungen, wie ist der Implementierungsstand der IPA in Deutschland?

Thomas Bahnert: Die Reformkommission „Bau von Großprojekten“ hat schon 2015 betont, welches Potenzial in partnerschaftlichen Ansätzen wie der IPA steckt. 2018 hat sich der deutsche Baugerichtstag mit dem Thema beschäftigt. Auch wenn die IPA inzwischen in Deutschland angekommen ist, gilt besonders der angelsächsische Raum hier weiterhin als Vorbild. In Ländern wie den USA, Australien und dem Vereinigten Königreich sind partnerschaftliche Ansätze schon seit Jahrzehnten Standard.

Wie kann THOST bei IPA-Projekten unterstützen?

Andreas Spathelf: Wir haben die IPA bereits bei einigen unserer Projekte erfolgreich umgesetzt und konnten hier viel Erfahrung sammeln. Auch im internationalen Bereich, wie beispielsweise in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Durch unsere vielfältigen Projekte sind wir in der Lage, Verantwortliche mit solchen Leistungen zu unterstützen. So können wir beispielsweise beim Aufbau geeigneter Organisationen und vertraglicher Lösungsansätze beraten und in der Umsetzung durch Koordination und Moderation zwischen allen Beteiligten mitwirken und unterstützen. Gerade in dieser Vertragsform ist eine gute Koordination und hohe Transparenz bei Abläufen, Terminen und Kosten elementar. Darüber hinaus nehmen wir häufig eine Controlling-Funktion innerhalb der Zusammenarbeit ein. Wichtig ist es aus unserer Sicht dabei zum Beispiel, Risiken und Chancen für alle Beteiligten in Einklang zu bringen. Ein weiterer Aspekt dabei ist in der Regel die Implementierung von außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren wie es die FIDIC vorsieht.

Thomas Bahnert: Wir sehen die IPA für passende Projekte als große Chance und engagieren uns interdisziplinär, um diese in Deutschland stärker zu etablieren. Bei Projekten gemeinsam ins Ziel zu kommen, ist ein echter Antrieb – nicht nur für uns als Projektmanager.

 Die Interviewpartner:

Andreas Spathelf ist Geschäftsführer bei THOST Projektmanagement.

Thomas Bahnert ist Dipl. Ing., Architekt Senior Experte für Honorarverträge und Teamleiter bei THOST Projektmanagement.

www.thost.de