In Deutschland waren 2022 rund 6 Millionen Menschen in Betrieben des verarbeitenden Gewerbes mit 50 und mehr Beschäftigten tätig. Direkt und indirekt hängen rund 15 Millionen der knapp 45 Millionen Arbeitsplätze von der produzierenden Wirtschaft ab. Der Wohlstand Deutschlands als rohstoffarmes Land hängt also auch künftig massiv von innovativer und effizienter Wertschöpfung ab. Neue Produkt-Service-Systeme der Fabrikausrüster unterstützen die produzierende Industrie dabei und machen sie resilienter.

Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern unterstützt die Industrie dabei, sich bzgl. der folgenden Ziele zu verbessern:

  • Wettbewerbsfähigkeit: die deutsche ausrüstende Industrie kann ihre Position im internationalen Wettbewerb nur erhalten, wenn sie konsequent auf Innovationen setzt, z.B. in Form von neuen Komponenten, Maschinen und/oder Linien, die sich selbst beschreiben, selbst konfigurieren und selbst verbessern einschließlich zugehöriger digitaler Dienste.
  • Nachhaltigkeit: der Nachweis des CO2-Fußabdrucks, und zwar bezogen auf eine tatsächliche Instanz einer Maschine oder Komponente – im Gegensatz zu Durchschnittswerten – wird für Maschinenbauer und Komponentenhersteller verpflichtend werden; genauso wie der Nachweis, den Fabrikbetreiber erbringen müssen, wieviel Energie und Rohstoffe im Produktionsprozess verbraucht wurden. Auch hierfür werden digitale Dienste benötigt, um z.B. den Energieverbrauch in der Produktion durch geschickte Wahl der Auftragsreihenfolge zu reduzieren.
  • Resilienz: gerade der Maschinen- und Anlagenbau sowie deren Inbetriebnahme, Reparatur und Wartung sind abhängig von Vorleistungslieferungen aus dem Ausland. Am Beispiel von China sind dies rd. 11,5%, doppelt so viel wie der Durchschnitt aller deutschen Industriebranchen [1]. Daraus ergibt sich unter anderem, dass die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in den Wertschöpfungsketten der Ausrüsterbranche signifikant zunehmen muss, wenn sie weiterhin – unter zunehmender Unsicherheit – lieferfähig bleiben will. Digitale Dienste helfen beispielsweise dabei, Störungen von Lieferketten schnell zu entdecken und Alternativlieferanten auszuwählen – unter allen erforderlichen Berücksichtigungen von Risiken und Qualitätsanforderungen.
  • Kreislaufwirtschaft: für die Automobilindustrie arbeiten wir bei Fraunhofer seit längerem daran, ausgehend von der Produktentwicklung für die Hauptkomponenten eines Fahrzeugs (Batteriezellen, Karosserie, Batteriegehäuse, Elektronik und Elektrik, Reifen, etc.) kreislauffähige Strategien zu entwickeln, und zwar indem
    – Produkte eingespart oder anders hergestellt werden,
    – die Lebensdauer von Produkten erhöht wird oder
    – Materialien wiederverwertet werden [2].
    Auch für die Ausrüsterbranche sind solche Strategien sowie datenbasierte Dienste zu entwickeln, und zwar auf Basis existierender Ansätze, z.B. Wiederaufarbeitung von Motorspindeln für Werkzeugmaschinen, Condition Monitoring und prädiktive Bereitstellung von Ersatzteilen, etc.

Allein hochproduktive und zuverlässige Maschinen und Anlagen zu liefern oder zu betreiben, wird also in Zukunft als Differenzierungsmerkmal und Basis des Geschäftserfolgs der Ausrüsterbranche nicht mehr ausreichen. Denn es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel vom Produktfokus hin zu nutzenbasierten Mehrwerten, sogenannten Produkt-Service-Systemen (PSS), die für neue Wertschöpfung sorgen und zukunftssichere Arbeitsplätze für hoch qualifizierte Mitarbeiter sichern. Ergänzende softwarebasierte Dienstleistungen rund um die Produktion ermöglichen datenbasierte Subskriptionsgeschäftsmodelle der „As-a-Service-Economy“. Diese gelten als weniger anfällig für Absatzschwankungen und Investitionszyklen. Gleichzeitig verstärken sie die Kundenbindung und damit die sensible Kundenschnittstelle. Der Schlüssel zu produktbegleitenden digitalen Diensten und zusätzlichen Potenzialen liegt in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). Sie schafft Transparenz in Bezug auf Wertschöpfungsketten, verbessert Resilienz und ermöglicht Stoffkreisläufe hin zu einer kreislauffähigen Wirtschaft.

Datenräume für einfachen, sicheren Austausch

Zusätzlich zu den traditionellen hardware-nahen Kompetenzen müssen Mitarbeitende in produzierenden Unternehmen schnell umfassende Kompetenzen beherrschen, um neue Tools wie GAIA-X, Datensicherheit und -souveränität, Plattformen und Datenökosysteme nutzbringend anwenden zu können. Der Wissensrückstand kann nur in Kooperation mit Partnern aufgeholt werden.

Als ein beispielhaftes Leuchtturmprojekt für einen branchenbezogenen Datenraum, im Kern ein Datenraum der automobilen Supply Chain, hat die Automobilbranche mit Unterstützung der Bundesregierung im Jahr 2021 das Projekt Catena-X gestartet: Es zielt darauf ab, einen sicheren, datensouveränen und einfachen Austausch von Informationen innerhalb automobiler Wertschöpfungsnetzwerke zu ermöglichen. Das Projekt soll die Digitalisierung der Branche, die Kollaboration und die Effizienz von Prozessen erhöhen, damit das deutsche Automotive-Ökosystem zukünftig wettbewerbsfähig bleibt. Dazu kooperieren in Catena-X die drei großen deutschen Original Equipment Manufacturer (OEM) BMW, Mercedes und Volkswagen mit großen und mittelständischen Zulieferern aus der gesamten automobilen Zulieferkette. Manufacturing-X wird den nächsten Schritt in die Datenökonomie ermöglichen.

Kernkompetenzen ausbauen – Tätigkeiten auslagern

Datenökosysteme mit ihren Möglichkeiten der dezentralen Datenhaltung in branchenspezifischen Datenräumen (Bild 1), multilateralem Datenteilen sowie Datenzugriffs- und -nutzungskontrolle bieten neue Chancen für produzierende Unternehmen und deren Ausrüster: Kernkompetenzen können ausgebaut und andere Tätigkeiten an spezialisierte Partner ausgelagert werden. So entstehen neue Anbieterprofile und Kooperationsformen (Bild 2).

Datenräume erfordern:

  • Infrastruktur,
  • Basisdienste, zum Beispiel die Interpretation und Übersetzung spezifischer Begriffe in die gemeinsame „Sprache“ des Datenraums („Semantisches Mapping“ auf ein gemeinsames Vokabular) oder Funktionen, die die Datensouveränität sicherstellen sowie
  • Software-Funktionen, die das Geschäft der Teilnehmer des Datenraumes unterstützen („Business Apps“).

Steigende Teilnehmerzahl verbessert Angebot

Business-Apps schaffen den tatsächlichen Mehrwert für die produzierende Industrie, ihre Ausrüster und Dienstleister. Denn sie stellen Funktionalitäten bereit, mit denen Firmen Transparenz in ihrer Fertigung schaffen, Kennzahlen berechnen oder Qualität und Verfügbarkeit vorausschauend ermitteln (Bild 3). Je mehr Teilnehmer im Datenökosystem mitarbeiten (Firmen, die Daten bereitstellen und Firmen, die Daten nutzen), umso besser wird das Angebot im Datenraum – bezogen auf Daten und verarbeitende Funktionalitäten. Letztlich sind Datenräume und ihre Regeln ein europäischer Weg, um produzierenden Unternehmen Hoheit und Kontrolle über ihre Daten zu erhalten, statt sie an große außereuropäische Anbieter abzutreten.

Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen steht die Digitalisierung in der Produktion immer noch am Anfang. Zukünftig wird alles in der Fabrik mithilfe spontan vernetzbarer und echtzeitfähiger Software funktionieren – mit gravierenden Auswirkungen auf die Struktur der Wertschöpfung in der produzierenden Industrie. Ziel aller Anstrengungen ist es, Produktion und ihre Ausrüster in Deutschland zu erhalten und zu stärken – besonders für künftige turbulente Zeiten.

Autor: Dr.-Ing. Olaf Sauer
Geschäftsfeld Automatisierung
Stellvertreter des Institutsleiters
Fraunhofer Institut für Optronik,
Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB)

[1]     Busch, B.; Matthes, J.; Sultan, S.: Zur Abhängigkeit einzelner Industriezweige von China. IW-Report 5/2023, Köln, 23.01.2023.

[2]     Ellen MacArthur Foundation: Towards the circular economy. Journal of Industrial Ecology, 2013, 2. Jg., Nr. 1, S. 23-44.