Hartmut P. Röhl, Präsident des Gesamtverband Autoteile-Handel e.V., im Interview mit OEM & Lieferant.

Der Gesamtverband Autoteile-Handel e.V. (GVA) ist sowohl Branchenverband als auch politische Interessenvertretung des freien Kfz-Teile-Großhandels in Deutschland. Er spricht darüber hinaus auch für rund 2000 Einzelhändler von Kfz-Ersatzteilen. Im GVA sind derzeit 133 Handelsunternehmen mit über 1000 Betriebsstellen sowie 123 Kfz-Teilehersteller und Anbieter technischer Informationen organisiert.

Herr Röhl, Sie standen von 2002 bis 2006 und seit 2012 als Präsident an der Spitze der FIGIEFA, des Internationalen Dachverbands des freien Kfz-Teilegroßhandels und Ihnen wurde zum Ende Ihrer Amtszeit für Ihr langjähriges Engagement und Ihre Verdienste die Ehrenpräsidentschaft des Verbandes verliehen. Was waren die wesentlichen Meilensteine Ihrer vierzehnjährigen Tätigkeit an der Spitze der FIGIEFA?

Hartmut P. Röhl: Ich sehe in der Ehrenpräsidentschaft eine besondere Anerkennung meiner Arbeit, die mir auch weiterhin die Möglichkeit gibt, am politischen Dialog – insbesondere auf internationaler Ebene – teilzunehmen. Zu den wesentlichen Meilensteinen gehört sicherlich die Schaffung der Aftermarket-GVO von 2010, die die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen dem Independent Aftermarket und der Automobilindustrie neu und umfassend geregelt hat. Weiterhin erwähnen möchte ich die Richtlinie und Verordnung, mit denen der Markt für sicht-bare Kfz-Teile bisher liberalisiert wurde.

Besondere Erwähnung verdient, dass es uns gelungen ist, unsere „Right to repair“ Kampagne international auf allen Kontinenten aufzustellen, und damit, wie die Automobil-hersteller, eine globale Strategie für den Independent Aftermarket als eigenständigen Markt auf allen Kontinenten zu etablieren.

Die Corona-Pandemie hat im Automobilmarkt tiefe Spuren hinterlassen. Die Kaufzurückhaltung bei den Konsumenten hat dazu geführt, dass Bestandsfahrzeuge länger gefahren und damit auch häufiger repariert werden müssen. Ist Ihre Branche damit unabsichtlich zum Corona-Gewinner geworden?

Hartmut P. Röhl: Insgesamt sind wir mit einem blauen Auge davon gekommen. Die GVA-Mitgliedsunternehmen verbuchten im Schnitt in 2020 einen geringen Umsatzrück-gang. Da unsere Branche als systemrelevant eingestuft wurde, waren wir von verordneten Betriebsschließungen nicht betroffen und konnten regelmäßig liefern, auch wenn Arbeitsabläufe umorganisiert werden muss-ten. Viele unserer Unternehmen hatten aus den Erfahrungen der Finanzkrise 2008/2009 die richtigen Schlüsse gezogen und bereits im Herbst 2019 ihre Lagerbestände hoch-gefahren, als sich erste Schwierigkeiten bei Lieferanten abzeichneten.

Das Jahr 2021 begann durchwachsen. Seit März verzeichnen wir jedoch deutliche Zuwächse und wir sind zuversichtlich, zeitnah das Vorkrisen-Niveau wieder zu erreichen. Wie haben sich der Teilegroßhandel und der Independent Aftermarket generell im letzten Jahr – auch unter dem Einfluss von Corona – entwickelt?

Hartmut P. Röhl: Die Corona-Krise mit all ihren Auswirkungen hat deutlich gemacht, dass unsere Branche keine „Feuerwehr-Branche“ ist, die nur in Ausnahmefällen einspringt. Es ist unseren Unternehmen gelungen, sich als feste Größe neben der OEM-Vertriebskette zu etablieren, indem sie unter Beweis gestellt haben, dass sie insbesondere auch in Krisenzeiten die Teileversorgung sicherstellen und den Kunden Produkte und Leistungen zu vernünftigen Preisen auf hohem Qualitätsniveau an-bieten können. Unser System hat sich bewährt, indem es gerade in der Krise seine Leistungsfähigkeit bewiesen hat. Insgesamt bedeutet dies einen starken Reputationsgewinn für unsere Branche.

Scheinbar erholt sich die Weltwirtschaft wieder. Dennoch klagen neben der Automobilindustrie viele Branchen über Lieferengpässe bei Ersatzteilen. Warum sind Lieferketten offensichtlich gerissen und was muss getan werden, um wieder zu stabilen Versorgungssituationen zurück zu kehren?

Hartmut P. Röhl: Die weltweiten Liefer-ketten in der Automobilwirtschaft sind nicht so einfach aus- und wieder anzuknipsen. Auch die Versorgung mit Ersatzteilen hängt davon ab, ob die Erstausrüstung läuft. Neben dem Mangel an Halbleitern, der die Automobilproduktion bremst, sind im Moment wohl die international verfügbaren Transportkapazitäten, insbesondere bei der Schifffahrt, der Engpass. Darunter leiden angesichts der Liefermengen in erster Linie die OEMs, die in global vernetzten Systemen produzieren, die kurzfristig auch nicht veränderbar sind. Aber auch hier zeigen sich die Vorteile unserer Branche. Wir sind in der Lage, kurzfristig neue Lieferketten aufzubauen und unseren Kunden Alter-nativen anzubieten. Angesichts unserer vielfältigen Geschäftsbeziehungen, können wir gegebenenfalls auch Lieferantenwechsel vornehmen. Im Vergleich zu den OEMs bewegen wir im Einzelfall geringere Transportmengen, was es uns erleichtert, alternative logistische Wege zu beschreiten. Unsere Erfahrungen im Teilemanagement – vom Einkauf bis zum Verkauf – zahlen sich hier aus und machen deutlich, dass Flexibilität und Kundenorientierung die DNA unserer Branche sind.

Nicht zuletzt aufgrund staatlicher Förderung steigen die Neuzulassungen batterieelektrisch angetriebener Fahrzeuge stark an. Der Elektromotor gilt im Vergleich zum klassischen Verbrennungsmotor als weniger wartungs- und reparaturintensiv. Welche Folgen hat dies für Ihre Branche?

Hartmut P. Röhl: Zwar steigt die Zahl der neu zugelassenen Elektrofahrzeuge an, sie macht aber bisher nur einen sehr

geringen Anteil am Gesamtfahrzeugbestand aus. Gleichwohl bereiten wir uns natürlich auf den Transformationsprozess im Verkehrssektor vor. Es ist klar, dass ein Elektrofahrzeug deutlich weniger Verschleißteile hat, als ein herkömmlicher Verbrenner. Wir werden versuchen, dies durch andere Dienstleistungen zu kompensieren. Genau wie der freie Teilegroßhandel müssen auch die Werkstätten in neue Ausrüstung und Fähigkeiten investieren. Während der Staat diesen Transformationsprozess bei den OEMs durch großzügige Subventionen bei der Absatzfinanzierung mit hohen Kaufprämien für Elektrofahrzeuge unterstützt, ist der Independent Aftermarket bei der GVA dieses Prozesses auf sich allein gestellt, was die Wettbewerbssituation wiederum schwächt. Weiterhin zu bedenken ist, dass die einseitige Förderung des Elektroantriebs nicht der Königsweg zum Erreichen unserer Klimaziele im Verkehrssektor sein kann. Sie muss von Verbrennern mit sauberem Kraftstoff, wie E-Fuels, flankiert werden.

Nicht der Verbrennermotor, sondern der verbrannte fossile Kraftstoff belastet die Umwelt. Mit CO2-neutralem Kraftstoff würde auch eine saubere Lösung für den großen Bestand von Fahrzeugen mit Verbrennern erreicht und die Spitzenstellung der deutschen Hersteller in dieser Technologie gesichert. Was sind die wichtigsten Projekte auf der Agenda des GVA für das laufende und das kommende Jahr?

Hartmut P. Röhl: Ganz oben auf der Agenda steht die Neufassung der Aftermarket-GVO auf EU-Ebene, die 2023 auslaufen wird. Von zentraler Bedeutung werden auch in diesem und im kommenden Jahr unsere Bemühungen sein, unseren Mitgliedsunternehmen Zugang zu Fahrzeugdaten zu verschaffen. Das ist zunächst die Durchsetzung der bereits gesetzlich be-stehenden Ansprüche auf Zugang zu Wartungs-, Reparatur- und Teileinformationen. Hinzu kommt der faire, gleichberechtigte Zugang zu den vom Fahrzeug selbst generierten Daten, die insbesondere für Reparaturleistungen von Bedeutung sind. Hier steht nach wie vor unsere Forderung nach einer sicheren offenen Telematik-Plattform (S-OTP) im Fahrzeug im Raum, statt des Systems der Fahrzeughersteller. Last but not least bleibt die Beteiligung an der Automechanika zu nennen, die im September 2021 im Format „Digital Plus“ in Frankfurt stattfinden wird. Diese Messe ist die Leitmesse der Automobilbranche für Ausrüstung, Teile, Zubehör und Management & Services, eben für den gesamten Aftermarket, und damit weltweites Schau-fenster der Leistungsfähigkeit unserer Branche.

Herr Röhl, wir danken Ihnen für das Gespräch.

https://www.gva.de

Quelle: OEM&Lieferant, Ausgabe II/2021

Das Interview führte Dr. Rudolf Müller, freier Journalist

rudolfamueller@gmx.net