Von Armin Gehl, Geschäftsführer autoregion e.V., Saarbrücken

Digitalisierung und KI sind zentrale Elemente des Transformationsprozesses der Automobil- und Zulieferindustrie. Sie zu gestalten und in die internen Geschäftsprozesse von Unternehmen zu integrieren ist mit ein Erfolgsfaktor für die künftige Rolle dieses Industriezweiges. Wesentlich dabei sind neben unternehmensinternen Entwicklungen und Kompetenzen auch die Gestaltung externer Rahmenbedingungen durch Staat, Verbände und Gewerkschaften.

Viel schlimmer hätte es für unsere heimische Automobilindustrie kaum kommen können. Der durch Klimawandel und technische Innovation veranlasste Transformationsprozess hin zu Dekarbonisierung und Digitalisierung hätte bei weitem ausgereicht, um die Automobil- und Zulieferindustrie in einen Veränderungsprozess zu zwingen, wie sie ihn seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr erlebt hat. Zu allem Überfluss wird dieser Prozess zum einen von tiefgreifenden politischen Umwälzungen wie dem Krieg in der Ukraine oder einem gewachsenen Selbstbewusstsein des globalen Südens mit entsprechenden Konsequenzen für die Märkte und zum anderen von ökonomischen Bedingungen, wie gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen, gestörten Lieferketten und erschwerten Finanzierungsbedingungen durch weltweit gestiegene Zinsen flankiert.

Betrachtet man das Produktportfolio unserer deutschen OEM`s, kann man angesichts einer Vielzahl neuer Modelle im E-Segment den Eindruck gewinnen, dass sie sich auf einem guten Weg befinden und die Herausforderungen in einem sich dynamisch verändernden Marktumfeld mit mehr oder weniger Erfolg bewältigen. Nicht zuletzt ist dies auch auf eine gezielte staatliche Unterstützung bei der Absatzfinanzierung von E-Fahrzeugen zurückzuführen, die sich zumindest in der deutschen Zulassungsstatistik bisher mit wachsenden Marktanteilen niederschlägt.  Waren die finanziellen Ergebnisse der jüngeren Vergangenheit bei den OEM`s in hohem Maß positiv, zeichnet sich nunmehr eine Entwicklung ab, die durch starke Belastungen bei Investitionen vor allem im Bereich der Batterietechnik, Produktionskapazitäten und nicht zuletzt bei der Beschäftigung gekennzeichnet ist.

Im Gegensatz zu den OEM`s müssen sich die Zulieferer in vielen Fällen neu erfinden und ihre Produktpalette komplett umstellen, ohne dabei von staatlichen Absatzhilfen profitieren zu können. Dies gilt insbesondere für die Unternehmen, die sich bisher auf die Verbrennertechnologie und den klassischen Antriebsstrang konzentriert hatten. Ohne auf hausinterne Ressourcen wie die OEM`s zurückgreifen zu können, müssen sie sich neue Technologien insbesondere  im Bereich von Digitalisierung, Batterietechnik und  KI neu erschließen und sind dabei auf Know-how-Zufluss von außen angewiesen.

Dabei sind Einflussfaktoren von Bedeutung, die nur zum Teil zur Disposition der Zulieferindustrie stehen. Dazu zählen insbesondere der Technologiezugang, die digitale Infrastruktur, das Vorhandensein qualifizierter Fachkräfte und last but not least das politische Umfeld einschließlich der gewerkschaftlichen Positionen.

Beispielhaft für die Frage des Technologiezugangs ist die Tatsache, dass im stark wachsenden Segment KI die fünf führenden Hersteller – neben bekannten Namen wie Nvidia und Intel – ausnahmslos in den USA beheimatet sind.

Nicht viel anders verhält sich die Situation in der Batterietechnologie mit einem Produktionsschwerpunkt in China, Japan und Südkorea. Dies wiegt umso schwerer, als die Batterieeinheit im Elektrofahrzeug einen Wertschöpfungsanteil von ca. 20 Prozent ausmacht. Konsequenterweise investieren alle OEM`s im Bereich der Batteriezellenfertigung, um Abhängigkeiten künftig zu reduzieren und Lieferketten zu verkürzen. Tatsache ist aber auch, dass das technologische Entwicklungspotential der Batteriezellen als hoch einzustufen ist. Batteriezellen werden leistungsfähiger werden müssen, Reichweiten werden sich verlängern, Ladezeiten sich verkürzen. Ihr Gewicht wird sich verringern und ihre Produktion wird als Kreislaufwirtschaft organisiert sein müssen, die Entsorgungsgesichtspunkten und Fragen der Rohstoffrückgewinnung Rechnung tragen wird. Will die Zulieferindustrie nicht den Anschluss verlieren, muss sie an diesem Entwicklungsprozess partizipieren und ihre Produktionsweisen und ihre Produkte auf diese Technologie konzentrieren. Dass Länder wie die USA, China, Südkorea oder Japan dabei freiwillig auf ihren technologischen Vorsprung verzichten, dürfte wenig wahrscheinlich sein. Umso dringender ist es, massiv in Forschung und Entwicklung – sowohl in Unternehmen als auch in Universitäten und Hochschulen – zu investieren, um im Wettbewerb aufzuschließen und diese Felder mit technologischen Neuentwicklungen zu besetzen. Dies wird eine der Voraussetzungen sein, eine globale führende Position im Automobilmarkt wieder einnehmen zu können.

Eine weitere fundamentale Voraussetzung für den Einsatz von KI im Verkehr der Zukunft ist eine flächendeckende digitale Infrastruktur. Mit dem neuen 5G-Netz wird bis spätestens 2025 die Grundlage für eine Digitalisierung des Verkehrs geschaffen sein und Deutschland liegt im internationalen Vergleich beim Ausbau der digitalen Infrastruktur unter der fünf führenden Ländern. Zunehmend zeigt sich jedoch, dass nicht im Vorhandensein einer digitalen Infrastruktur das Problem liegt, sondern in seiner Nutzung. In einer Untersuchung zur Branche der Fabrikausrüster – ein wesentlicher Zulieferbereich der Automobilindustrie – kommt das Karlsruher Fraunhofer Institut IOSB zu der Erkenntnis, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen digitale Technologien nur zögerlich aufnehmen und nur langsam in Maschinen, Anlagen und Komponenten der nächsten Generation umsetzen. Vorbehalte bestünden vor allem bei der Vernetzung und beim Datenaustausch. Der Grund für diese Zurückhaltung liegt in erster Linie in der nicht vorhandenen digitalen Kompetenz der Unternehmen und der mangelnden Qualifikation der vorhandenen Mitarbeiter. Im Gegensatz zu den OEM`s sind die KMU`s darauf angewiesen, diese Kompetenzen durch neue Beschäftigte von einem fast leer gefegten Arbeitsmarkt aufzubauen.

Es ist fast schon eine Binse, dass die Transformation in eine dekarbonisierte Verkehrswelt einhergeht mit einem Abbau von industrieller Beschäftigung und einem gleichzeitigen Aufbau im Bereich neuer Technologien, die bisher in unserer Industrielandschaft nicht besetzt waren.

Mag für eine Übergangszeit angesichts paralleler Fertigungsstrukturen von klassischen Verbrenner- und E-Fahrzeugen der Beschäftigungsrückgang nicht so signifikant erscheinen, sprechen die Planungen der OEM`s und der großen Zulieferer eine eindeutige Sprache. Die Fertigung von E-Fahrzeugen ist weniger beschäftigungsintensiv und die industrielle Anpassung ist schon in vollem Gang, wovon die Ankündigung erster Werkschließungen -wie die von Ford in Saarlouis- Zeugnis ablegen.

Allerdings befinden sich die Unternehmen in einem Dilemma, da sie einerseits ihre Belegschaften quantitativ verringern und gleichzeitig qualitativ im Hinblick auf den Einsatz digitaler Komponenten verbessern müssen. Die klassischen Anpassungsinstrumente wie Sozialpläne und Interessenausgleiche versagen angesichts dieser Fragestellung, da sie ausschließlich an sozialen Auswahlkriterien orientiert sind und für qualitative Aspekte nur wenig Raum lassen. Auch das Beharren der Gewerkschaften auf in der Vergangenheit unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen ausgesprochenen Beschäftigungsgarantien ist unter dem Gesichtspunkt von Verbandsinteressen zwar nachvollziehbar, aber für die unternehmerischen Zukunftsinteressen wenig hilfreich. Es wird dabei die Illusion geweckt, der Transformationsprozess sei mit den vorhandenen Belegschaften über Qualifikationsmaßnahmen zu bewältigen. Dass dies nicht funktioniert, zeigt das Beispiel der KMU`s , die auf Kompetenzzufluss von außen angewiesen sind.

So sieht die IG Metall angesichts der durch die Transformation veränderten Anforderungen an Berufe und Tätigkeiten ausschließlich Arbeitgeber und Staat in der Verantwortung. Die Möglichkeit der tariflichen Gestaltung solcher Qualifikationsprozesse, in der auch die individuelle Verpflichtung zur Anpassungsqualifikation mit geregelt werden könnte, wird in allen offiziellen Verlautbarungen schlechthin negiert. Aber ohne eine Interessenverteilung und Zuweisung bei der Qualifikation von Beschäftigten wird der Prozess nicht zu bewältigen sein. Unter Fachleuten ist es unumstritten, dass die qualitative Bewältigung der Digitalisierung nicht mit einer Anpassung bestehender Ausbildungscurricula zu bewältigen sein wird. Die dynamische digitale Entwicklung erfordert bei den Beschäftigten die permanente Bereitschaft zum Aufbau neuer Kompetenzen in einem Prozess permanenten Lernens.  Illusionen helfen hier nicht. Sie nähren nur wirklichkeitsferne Hoffnungen bei den Beschäftigten, die Transformation bliebe ohne individuelle Folgen.

Vollends kontraproduktiv in diesem Zusammenhang ist die Forderung der IG Metall nach der Vier-Tage-Woche und einer weiteren Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich. Begründet werden diese Forderungen unter anderem mit der Verhinderung weiteren Arbeitsplatzabbaus – angesichts des bestehenden Fachkräftemangels nicht nachvollziehbar.

Schon die Mitte der 80er Jahre von der IG Metall durchgesetzte 35-Stunden-Woche wurde mit der Forderung nach der Verhinderung von Arbeitsplatzabbau begründet. Ob dies im Ergebnis gelang, ist bis heute unter Volkswirten umstritten. Mittlerweile in Vergessenheit scheint aber die Grundlage der damaligen Einigung geraten zu sein. Sie beruhte auf der Übereinkunft, dass individuelle Arbeitszeit und Betriebsnutzungszeit voneinander getrennt wurden. Diese Entkopplung eröffnete über eine uneingeschränkte Nutzung des eingesetzten Kapitals den Arbeitgebern ein erhebliches Innovationspotential, worüber die Kostennachteile der 35-Stunden-Woche zumindest teilweise kompensiert werden konnten.

Von einer solchen Option sind wir heute jedoch meilenweit entfernt. Laut einer Studie der Deutschen Industrie- und Handelskammer ist die Innovationsbereitschaft der deutschen Industrie auf den niedrigsten Stand seit 2008 gesunken. Grund dafür sind nicht etwa nicht vorhandene Ideen im Hinblick auf Technologien oder Produkte, sondern in erster Linie der Fachkräftemangel, der Unternehmen in ihrer Innovationsfähigkeit einschränke.

Dies sind Alarmzeichen, die eine an sich positive Entwicklung behindern, wenn nicht sogar stoppen könnte. Laut einer Untersuchung des Capgemini Research Institute befindet sich Deutschland in einem Achtländervergleich auf Platz drei beim umfassenden Einsatz von KI in der Automobilindustrie mit 12 Prozent hinter den USA mit 25 Prozent und dem Vereinigten Königreich mit 14 Prozent. Im Vergleich zu 2017 wuchs der Anteil der Automobilunternehmen, die KI im Einsatz haben in Deutschland nur um einen Prozentpunkt. Im gleichen Zeitraum betrug das Wachstum in den USA sieben, im Vereinigten Königreich fünf und in China vier Prozentpunkte.

Diese Tendenz sollte alle Beteiligten zum Nachdenken anregen. Wir müssen eine positive, technologieoffene Gestaltung von Rahmenbedingungen für den notwendigen Transformationsprozess in der Automobil- und Zulieferindustrie schaffen, wenn wir auch künftig im Konzert der globalen Automobilhersteller eine Rolle spielen wollen.

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