Von Armin Gehl, Geschäftsführer des Verbandes autoregion e.V.

Die Corona-Pandemie hat eine weltweite wirtschaftliche Krise ausgelöst, die insbesondere die global vernetzte Automobilindustrie mit voller Wucht trifft. Zeitweise Schließung von Fabriken, Fall von Absatzzahlen auf nahezu allen Märkten in bisher nicht gekannter Größenordnung sind nur zwei Phänomene, die das Ausmaß der Krise erahnen lassen.

Aber Corona deckt auch schonungslos Schwächen und Problemzonen auf. Bereits vor Corona war die Automobilindustrie in keiner guten Verfassung. Dieselskandal, Belastungen aufgrund der Entwicklung neuer Modelle mit alternativen Antrieben, die Diskussion über die CO2-Reduzierung sowie eine weltweite Marktabschwächung, von der auch der bisherige Wachstumsmarkt China erfasst worden war, waren Kennzeichen einer umfassenden Strukturkrise, die nunmehr verstärkt durch Corona zu Tage tritt und an Transparenz gewinnt.

Wenn derzeit über Maßnahmen zur Unterstützung und Wiederbelebung der Automobilindustrie diskutiert wird, muss dieser Struktureffekt im Vordergrund stehen. Flächendeckende finanzielle Hilfen, z.B. in Form von Kaufprämien wie sie in der Finanzkrise 2009 gewährt worden waren, sind sicherlich allein nicht zielführend. Sie perpetuieren bestehende Strukturen, wirken deshalb nicht nachhaltig und haben bestenfalls einen Strohfeuereffekt, der die wahren Probleme nur verdeckt.

Im Vordergrund müssen Maßnahmen stehen, die geeignet sind, die global führende Rolle der Deutschen Automobilindustrie langfristig abzusichern. Dies bedeutet in erster Linie eine Stärkung des Binnenmarktes und die Erhaltung der Export- und damit der Wettbewerbsfähigkeit für alle maßgeblichen Weltmärkte.

Überlebensnotwendig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist die Technologieoffenheit für neue Produkte und insbesondere für Antriebsarten. Die Entwicklung alternativer Antriebsarten, auch neben der batterieelektrischen Variante muss weiter vorangetrieben und gefördert werden. Hierzu zählt insbesondere auch die Wasserstoff-Technologie in ihren unterschiedlichen technischen Varianten. Fatal wäre – wie teilweise von der Politik gefordert – die staatliche Unterstützung von einem fest zu terminierenden Ausstieg aus der Verbrennungstechnologie abhängig zu machen. Dies würde bedeuten, dass man sich mittelfristig aus bedeutenden Märkten verabschieden müsste.

Es ist absehbar, dass in großen Teilen Osteuropas, Asiens, Afrikas und Südamerikas schon aus infrastrukturellen Gründen Formen elektrischen Fahrzeugantriebs mittelfristig bestenfalls ein Nischendasein führen werden. Hier wird auch weiterhin der Verbrennungsmotor dominieren, den es deshalb weiter zu entwickeln gilt, damit er auch auf diesen Märkten den Kriterien des Klimaschutzes gerecht wird. Bei diesen Entwicklungen muss die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie dabei sein, wenn sie ihre internationale Führungsrolle behalten will.

Schon die Diskussion vor der Corona-Krise hatte gezeigt, dass die strukturellen Probleme der Automobilindustrie nicht nur in der Entwicklung und Produktion neuer marktgängiger Produkte bestand. Vielmehr war deutlich geworden, dass die fundamentalen, klimabedingt notwendigen Veränderungen im Verkehrsmarkt sich in einer neuen konzeptionellen Positionierung von Kunden, Herstellern und Öffentlicher Hand als Dienstleister und Gestalter des infrastrukturellen Umfeldes abspielen. Und genau hier liegt der Schlüssel zur Stärkung des Binnenmarktes.

Als Beispiel mag der Umgang mit der Wasserstoff- Brennstoffzellen-Technologie im Ausbreitungsgebiet des autoregion e.V. dienen. An dieser Antriebsalternative zum klassischen Verbrennungsmotor wird seit Mitte der 90er Jahre intensiv geforscht, wobei der Durchbruch auf der Produktseite ihr bisher versagt blieb. Nur wenige Hersteller bieten bisher Fahrzeuge mit Wasserstoff-Brennstoffzellen an. Der wesentliche Vorteil dieser Technologie besteht in ihrer absoluten Emissionsfreiheit. Emittiert wird lediglich völlig ungefährlicher Wasserdampf. Bei Reichweite und Dauer des Tankvorgangs ist die Brennstoffzelle gegenüber dem batterieelektrischen Antrieb deutlich im Vorteil und erreicht mit fossilen Antriebsarten vergleichbare Werte.

Vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit und rückläufiger Personalbedarfe der Automobilindustrie ist für die Beschäftigten insbesondere in der Zulieferindustrie von Bedeutung, dass die Produktion der Brennstoffzellentechnologie strukturell und fertigungstechnisch der des Verbrennungsmotors gleicht. Die Brennstoffzelle benötigt deutlich mehr metallische Bauteile als ein batterieelektrischer Antrieb. Der verstärkte Ausbau wäre mit entsprechenden Beschäftigungseffekten verbunden.

Ihre kompetitiven Vorteile spielt die Brennstoffzelle beim Betrieb in Nutzfahrzeugen aus, da sie ohne Batterie auskommt. Die schweren Batterien reduzieren bei batterieelektrischem Antrieb insbesondere im Fernverkehr die für den wirtschaftlichen Betrieb erforderliche Nutzlast und die langen Ladezeiten verringern die Optimierung von Einsatzzeiten. Der Energieträger Wasserstoff stellt in diesem Bereich eine nicht zu übersehende Alternative dar.

Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2030 ca. 350.000 Nutzfahrzeuge mit Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie ausgestattet sein werden.

Dies hat zwischenzeitlich auch die Politik erkannt. So hat die Bundesregierung ein „Regierungsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie 2016-2026“ mit umfangreichen Förderungsoptionen initiiert, wovon das Saarland und seine Nachbarregionen bisher nur in geringem Umfang profitieren. Lediglich 300.000 Euro Bundesfördermittel zur weiteren Ausarbeitung eines Wasserstoff-Konzepts sind im Rahmen des Programms „HyExperts“ bisher gewährt worden. Auch Investitionen in die Infrastruktur verlaufen bisher schleppend. Nach langen Verzögerungen wird nun endlich mit dem Bau einer Wasserstoff-Tankstelle begonnen.

Andere sind mit dem Thema „Wasserstoff und Brennstoffzellentechnologie“ schneller und effizienter unterwegs. So hat das rohstoffarme Süd-Korea entschieden, bis 2035 alle Nutzfahrzeuge und Busse auf Wasserstoff-Technologie umzustellen. Die amerikanische Nikola Motor Company, an der unter anderen auch die Firma Bosch beteiligt ist, arbeitet an einem Großauftrag des Brauereikonzerns Anheuser-Busch über 800 Brennstoffzellen- LKW. Angeblich verfügt das Unternehmen über 14.000 Vorbestellungen dieses LKW-Typs.

Nahezu beispielhaft verläuft ein von dem Einzelhändler Coop initiiertes Projekt in der Schweiz, das zwischenzeitlich von einer ganzen Reihe von Privatunternehmen getragen wird. Ziel ist, 1.600 Wasserstoff-LKW bis 2025 auf die Straße zu bringen. Die Nutzfahrzeuge kommen vom süd-koreanischen Hersteller Hyundai. Die Wasserstofftankstellen werden von einem privaten Förderverein errichtet.

Diese wenige Beispiele zeigen, dass wir Gefahr laufen, in dieser wichtigen Technologie weltweit den Anschluss zu verpassen. Natürlich ist es zu begrüßen, wenn – endlich – Daimler und Volvo sich bei der Entwicklung von Brennstoffzellen-Antrieben für Nutzfahrzeuge zusammentun und beabsichtigen, bis Ende dieses Jahrzehnts schwere Nutzfahrzeuge für den Fernverkehr serienreif zu entwickeln.

Aber es mangelt nach wie vor an integrierten und zukunftsweisenden Konzepten, die nicht nur die Herstellerinteressen, sondern die Perspektiven aller Steakholder berücksichtigen. Gerade das eidgenössische Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, potentielle Kunden mit ins Boot zu nehmen und entsprechende Netzwerke aufzubauen. Dazu zählen insbesondere Handel, Logistik und Speditionen sowie die privaten und öffentlichen Verkehrsbetreiber. Gerade der Öffentlichen Hand könnte hier nicht nur bei der Bereitstellung bzw. Genehmigung der erforderlichen Infrastruktur eine Schlüsselrolle zukommen. Vorbehaltlich vergaberechtlicher Gesichtspunkte könnte bei öffentlichen Ausschreibungen von Verkehrsleistungen die Anbieter bevorzugt werden, die die ausgeschriebene Leistung mit von Wasserstoff getriebenen Fahrzeugen erbringen. Ähnlich könnte bei der Beschaffung von Fahrzeugen für öffentliche Betriebe vorgegangen werden.

Auch Hochschulen und Universitäten müssen mit ihren Entwicklungen und Kapazitäten in den Prozess der konzeptionellen und strukturellen Umgestaltung und Weiterentwicklung der heimischen Automobil-und Zulieferindustrie mit eingebunden sein.

Eile ist in jedem Fall geboten. Nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch und in erster Linie der internationale Wettbewerb zwingt uns zu schnellem und strukturell nachhaltigem Handeln. Zeit bleibt uns dabei nicht.

 

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