Home- Office, Job-Sharing, Teilzeitarbeit – in der Vergangenheit Randphänomene des Arbeitslebens sind durch die Optionen der Digitalisierung und einen gesellschaftlichen Wertewandel zu zentralen Strukturelementen der Arbeitsgestaltung geworden. Früher die Regel ist physische Präsenz am Arbeitsplatz in den Bürobereichen fast schon zur Ausnahme geworden und stellt Führungskräfte vor neue, bisher unbekannte Probleme.

Dr. Martina Fohr, die bei der internationalen Personalberatung Spencer Stuart die Bereiche Transport, Logistik und Supply Chain betreut im Gespräch mit Dr. Rudolf Müller. Spencer Stuart ist eines der global führenden Unternehmen in der Leadership- und Executive-Search-Beratung mit 57 Büros in 30 Ländern weltweit.

OEM&Lieferant: Die Pandemie und ihre Folgewirkungen auf Aspekte globaler Arbeitsteilung und die Stabilität von Lieferketten hat unsere Arbeitswelt fundamental verändert. Wie erleben Sie persönlich diese Veränderungen?

Dr. Fohr: Auch an meiner eigenen Tätigkeit gingen diese Veränderungen nicht spurlos vorbei. Vor der Pandemie war es selbstverständlich, dass ich im Büro anzutreffen war. Dies wurde erwartet – obligatorisch. Die Idee vor allem von zu Hause aus zu arbeiten, war undenkbar. Heute empfinde auch ich es als ausgesprochen angenehm, ein paar Tage während der Woche von zu Hause aus arbeiten zu können. Aber gleichzeitig sind die Gespräche im Büro durch nichts zu ersetzen.

OEM&Lieferant: Ein Schwerpunkt Ihrer beruflichen Tätigkeit ist die Transport- und Logistikbranche. Wie gehen Ihre Kunden dort mit diesem Phänomen um?

Dr. Fohr: Im Transport- und Logistiksektor und in Supply Chain Rollen haben wir natürlich eine gänzlich andere Situation als in den Dienstleistungsbereichen. Das liegt daran, dass es viele Menschen gibt, die in Lägern oder Umschlagshallen arbeiten oder Fracht ausliefern und die deshalb an ihren Arbeitsplatz gebunden sind. Dies kann zu einem Ungleichgewicht mit ihren Bürokollegen führen, die wahrscheinlich eine größere Flexibilität genießen.  Aus meinen Gesprächen mit Führungskräften dieser Industrie geht hervor, dass der Führungsstil an die Kollegen angepasst werden muss, die von zu Hause aus arbeiten können. Es gibt auch anhaltende Bedenken, dass die Home-office-Tätigkeit nicht so produktiv ist, was wiederum zu Herausforderungen führt, wie man reagieren soll, wenn jemand nicht aus der Ferne arbeitet. Aus diesem Grund legen viele Unternehmen dieser Branche großen Wert darauf, dass ihre Mitarbeiter zumindest zeitweise im Büro sind. So setzen beispielsweise die globalen Logistikunternehmen Schenker und DHL inzwischen beide auf einen hybriden Ansatz. Schenker hat mit seinen Mitarbeitern im Büro eine Vereinbarung getroffen, die es ihnen ermöglicht, an zwei Tagen in der Woche von zu Hause aus zu arbeiten und DHL bietet vielen seiner Mitarbeiter virtuelle Optionen an und stellt gleichzeitig sicher, dass sie an persönlichen Besprechungen und Veranstaltungen teilnehmen.

OEM&Lieferant: Ist der von Ihnen beschriebene hybride Ansatz der Arbeitsplatzgestaltung nicht besonders durch Cyber-Angriffe gefährdet – insbesondere weil eine funktionierende und sichere IT-Struktur das Rückgrat aller Logistik-Geschäftsmodelle ist?

Dr. Fohr: In der Tat ist es für IT-Teams schwieriger, verdächtige Aktivitäten zu erkennen, wenn Mitarbeiter an mehreren Standorten arbeiten und verschiedene Geräte und Netzwerke verwenden. Um diesen Problemen wirksam entgegenzuwirken, ist eine Mischung aus Schulung und Technologie erforderlich. Erstens müssen die Mitarbeiter – unabhängig von ihrem Dienstalter – verstärkt über Cyber-Risiken geschult werden, insbesondere im Hinblick auf potentielle Einschleusungsmethoden für Phishing-, Ransomware- oder Malware-Angriffe. Gleichzeitig müssen Führungskräfte auch sicherstellen, dass die von den Teammitgliedern verwendete Ausrüstung nicht nur dafür sorgt, dass sie ihre Arbeit erfolgreich erledigen können, sondern auch, dass sie mit der neusten Software, Anwendungen und Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet sind.

OEM&Lieferant: Ein zentrales Problem hybrider Arbeitsstrukturen ist die richtige Kommunikation mit den Mitarbeitern. Wie lautet Ihre Empfehlung an die Führungskräfte?

Dr. Fohr: Da die Teammitglieder über verschiedene Standorte verteilt sind, ist die tägliche Kommunikation und Kontrolle schwieriger als im Büro. Obwohl dies bei vielen Industrie- und Lieferkettenunternehmen häufig vorkommt, ist es aufgrund der geografischen Streuung umso wichtiger, eine transparente und klare Kommunikation bereitzustellen, damit sich die Mitarbeiter eingebunden fühlen und verstehen, was von ihnen erwartet wird. Die Inspiration und Motivation hybrider Mitarbeiter ist und bleibt eine ständige Herausforderung und es gibt sicherlich keine einheitliche Lösung. Stattdessen sollten Führungskräfte die Kommunikationsmethoden auf die verschiedenen Teammitglieder zuschneiden und herausfinden, welcher Ansatz am besten funktioniert. Und sie sollten jederzeit erreichbar sein.

OEM&Lieferant: Wie schafft man gemeinsame Arbeitsstrukturen in hybriden Organisationen, wenn Mitarbeiter sowohl im Home-Office als auch lokal an Arbeitsplätzen gebunden zusammenarbeiten sollen?

Dr. Fohr: Es ist wichtig, sich auf die Arbeitsweise und die Strukturierung des Tages zu einigen, um die Momente der Interaktion mit den Mitarbeitern zu optimieren. Das bedeutet nicht, dass Führungskräfte ständig Check-ins organisieren sollten. Endlose aufeinanderfolgende Videoanrufe sollten um jeden Preis vermieden werden. Den Teammitgliedern sollte die nötige Autonomie gegeben werden, um mit ihrer Arbeit fortzufahren und Führungskräfte sollten ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie ihnen jederzeit bei Bedarf zur Verfügung und Unterstützung stehen. Dieser Ansatz erstreckt sich auch auf den Alltag im Büro. Beispielsweise entscheiden sich Kollegen manchmal dafür, an bestimmten Tagen ins Büro zurückzukehren und vermeiden so das Risiko, dass einzelne Personen allein in einem ruhenden Arbeitsbereich sitzen.

OEM&Lieferant: Wie geht man mit neuen Mitarbeitern um, die weder mit den hausinternen Prozessen vertraut sind noch über persönliche Netzwerke im Unternehmen verfügen?

Dr. Fohr: Einen neuen Job zu beginnen ist selten einfach, aber noch schwieriger ist es, wenn man dies virtuell tut. Es ist deutlich komplexer, ein Gefühl von Zugehörigkeit und Integration zu erzeugen, wenn man nicht physisch zusammen ist. Noch größer ist die Herausforderung für Absolventen oder andere Berufseinsteiger, die mit der Realität des Berufslebens nicht vertraut sind. Für sie ist das Büro ein wichtiger Treffpunkt zum geselligen Beisammensein, aber auch ein Ort, an dem sie mit ihren Kollegen zusammenarbeiten und von erfahrenen Kollegen lernen können. Führungskräfte müssen daher sicherstellen, dass die Prozesse auf diese sich ändernden Umstände zugeschnitten sind, um ein dauerhaftes Identitäts- und Kulturgefühl zu fördern, damit sich die Menschen als Teil davon fühlen.

OEM&Lieferant: Sind hybride Arbeitsstrukturen weniger produktiv als die klassischen Formen der Zusammenarbeit? Was ist Ihre persönliche Erfahrung?

Dr. Fohr: Ein bekannter Kritikpunkt derjenigen, die eine massenhafte Rückkehr ins Büro befürworten, ist, dass Heimarbeit sich negativ auf die Produktivität auswirkt. Befürworter des persönlichen Arbeitens, zu denen einige der bekanntesten Wirtschaftsführer der Welt gehören, sind fest davon überzeugt, dass die Produktivität steigt, wenn Teams persönlich zusammenkommen. Seit Beginn der Pandemie gibt es verschiedene Studien darüber, ob Heim- oder Büroarbeit am effektivsten ist. Es gibt unterschiedliche Erkenntnisse. Aber so oder so können Führungskräfte die dringende Notwendigkeit nicht ignorieren sicherzustellen, dass die Mitarbeiter motiviert und inspiriert sind, Tag für Tag ihr Bestes zu geben.

OEM&Lieferant: Wagen Sie einen Blick in die Zukunft.  Werden sich Formen hybrider Arbeitsgestaltung durchsetzen?

Dr. Fohr: Die Zeiten, in denen jeder immer fünf Tage die Woche im Büro war, scheinen längst vorbei zu sein. Aber auch Vollzeit-Homeoffice scheint immer seltener zu werden. Es ist nicht einfach, ein Gleichgewicht zwischen den beiden Ansätzen zu finden und eine Lösung zu erarbeiten, die für den Einzelnen und das Unternehmen als Ganzes gut funktioniert – aber es ist machbar. Diejenigen Industrie- und Lieferkettenführer und ihre Kollegen in anderen Sektoren, denen es gelingt, ein Umfeld zu schaffen, das effektives hybrides Arbeiten mit wertvoller persönlicher Interaktion verbindet, werden am besten in der Lage sein, die Früchte zu ernten.

OEM&Lieferant: Frau Dr. Fohr, wir danken Ihnen für das Gespräch.