Ein Beitrag für OEM&Lieferant, Ausgabe II/2022 von Ralf Blessmann, Leiter des Automotive Sektors bei Capgemini in Deutschland

Tesla und Google agieren autark, Stellantis kooperiert mit Amazon, VW setzt auf eine unternehmenseigene Softwareeinheit – wenn es um die Entwicklung des Betriebssystems im Auto geht, gibt es nicht den einen Königsweg. So stehen 70 Prozent der Fahrzeughersteller (OEM) erst am Anfang ihrer softwaregetriebenen Transformation, so eine Capgemini-Studie (1).

Deshalb müssen Automobilhersteller, die beim Thema Fahrzeugsoftware die Nase vorn haben wollen, jetzt entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen:

  1. Eigenständige Entwicklung einer Softwareplattform oder Kooperation (temporär oder langfristig) mit Tech-Unternehmen
  2. Bei eigenständiger Entwicklung: allein oder im Verbund mit anderen Herstellern, Zulieferern und Integratoren
  3. Bei eigenständiger Entwicklung: Auslagerung der Entwicklungsleistungen in ein Tochterunternehmen oder Transformation des Gesamtkonzerns

Jede Option hat Vor- und Nachteile, die ich im Folgenden kurz skizziere.

Eigene Software versus Kooperation mit Tech-Unternehmen

Wenn sich ein OEM entscheidet, eigenständig eine eigene Softwareplattform zu entwickeln, gewinnt er Unabhängigkeit. Allerdings ist es eine große Herausforderung, schnell eine Lösung mit hoher Qualität zu entwickeln. Die Alternative lautet, die ersten Releases in enger Zusammenarbeit mit Technologieunternehmen zu entwickeln und erst danach einen dann sehr ausgereiften eigenen Software-Stack auf den Markt bringen. Die durchgängig hohe Qualität dieses Ansatzes wäre der Vorteil, der Nachteil die Abhängigkeit vom Partner und die relativ lange Entwicklungszeit bis zur Marktreife.

Allein entwickeln oder im Verbund

Es gibt die Möglichkeit, mit anderen Automobilherstellern oder großen Zulieferern im Rahmen einer Arbeitsgruppe zusammenzuarbeiten, wie zum Beispiel in der Software Defined Vehicle Working Group der Open-Source-Stiftung Eclipse Foundation, der auch Capgemini angehört. Ziel des Arbeitskreises ist es, auf Open-Source-Basis einen Software-Stack für die Kernfunktionen einer neuen Fahrzeugklasse zu entwickeln. Dadurch können OEMs und Zulieferer Ressourcen bündeln.

Transformation versus Auslagerung

Die Gründung eines dedizierten Car-Software-Tochterunternehmens hätte den Vorteil, dass es eine eigene Kultur leben könnte und von vornherein auf die Entwicklung von Software ausgerichtet wäre – das ist deutlich weniger Aufwand, als einen Automobilkonzern in einen Softwarehersteller zu verwandeln. Die Herausforderung bei diesem Modell ist aber die Koordination mit – und Akzeptanz durch – das Mutterunternehmen. Es gilt, die beiden Kulturen miteinander zu verbinden. Die Transformation des Konzerns hingegen dauert länger, hat aber den Vorteil, dass sich alle Einheiten als Teil des großen Ganzen verstehen und dasselbe Ziel verfolgen. Der Schlüssel zum Erfolg ist, Veränderung alltäglich zu machen, ohne die Organisation zu überfordern.

Es zeigt sich, unterschiedliche Wege führen nach Rom. Jeder OEM oder Zulieferer hat andere Voraussetzungen und verfolgt andere Ziele, dementsprechend muss jeder genau prüfen, welcher Weg für sein Unternehmen der richtige ist. Die Softwarestudie hat gezeigt, dass bislang nur eine kleine Gruppe von 15 Prozent, die so genannten „Frontrunner“, einen hohen Reifegrad bei der Transformation erreicht hat. Diese Unternehmen erwarten, in zehn Jahren 28 Prozent ihrer Gesamtumsätze mit neuen Software-Funktionen zu erwirtschaften. Die breite Masse der Hersteller weltweit steht noch am Anfang, was bedeutet, dass Marktteilnehmer, die früh die Weichen richtig stellen, viele Chancen haben werden.