E-Fuels – die vernachlässigte Alternative

Von Armin Gehl, Geschäftsführer des autoregion e.V., Saarbrücken

Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 seine Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Dabei ist der Verkehrssektor mit einer Einsparung von 40 Prozent bis 2030 betroffen. Um dies zu erreichen, müssen alle verfügbaren technologischen Register gezogen werden – einschließlich die Option der Entwicklung synthetischer Kraftstoffe.

Die Boston Consulting Group und Prognos haben im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie eine Studie erstellt, mit welchen Maßnahmen dieses ambitionierte Ziel bei gleichem Mobilitätsanspruch bis 2030 erreichbar ist. Die Kernaussage der Studie lautet, dass das Erreichen des 40 Prozent- Ziels den Einsatz aller denkbaren technischen Hebel erfordere. Dazu zählt die Studie ausdrücklich unter anderem die deutliche Steigerung der eingesetzten Mengen CO2-neutraler und somit auch synthetischer Kraftstoffe sowie die Förderung der industriellen Skalierung von PtX-Technologien.

Betrachtet man kritisch die aktuelle klimapolitische Diskussion zum Verkehrssektor, muss man feststellen, dass diese technologischen Aspekte mehr und mehr in den Hintergrund rücken. Betonte die Bundesregierung in ihren Eckpunkten für das Klimaschutzprogramm 2030, für die Entwicklung strombasierter Kraftstoffe erforderliche Rahmenbedingungen schaffen zu wollen, scheinen sich entsprechende Aktivitäten doch in eher bescheidenem Rahmen abzuspielen. So antwortete die Bundesregierung im Januar 2020 im Rahmen einer Kleinen Anfrage im Bundestag auf die Frage, welche Maßnahmen vorgesehen seien, um das Gewinnen von erneuerbaren Energien und konkret E-Fuels marktfähiger zu machen mit der Aussage: Man prüfe verschiedene Instrumente, um den Markthochlauf von synthetischen Kraft-, Treib- und Grundstoffen auf der Basis erneuerbarer Energien (PtX) zu unterstützen. Nach kraftvollem Handeln hört sich das nicht an.

Nicht verschwiegen werden darf, dass das Bundesumweltministerium bereits im Juli 2019 ein Aktionsprogramm für strombasierte Brennstoffe vorgestellt hat, innerhalb dessen eine PtX-Demonstrationsanlage in der Energieregion Lausitz errichtet werden soll. Konkrete Ergebnisse stehen noch aus.

Die deutliche Steigerung der Zulassungszahlen von batterieelektrisch angetriebenen Fahrzeugen und vor allem von Hybrid-Fahrzeugen im letzten Halbjahr, befeuert von hohen staatlichen Kaufanreizen und steuerlichen Entlastungen, scheint die Illusion zu nähren, dies sei der alleinige Königsweg zum Erreichen der hoch gesteckten Klimaziele. Andere Technologien – und vor allem der Einsatz synthetischer Kraftstoffe- drohen aus dem Fokus politischer und industrieller Entscheider zu geraten.

In der Tat ist es doch ein allzu verlockendes Szenario, was mit dem flächendeckenden Einsatz synthetischer Kraftstoffe denkbar erscheint. Allein die Vorstellung, ohne großen technischen Umrüstaufwand alte Verbrennungsmotoren weiter mit synthetischen Kraftstoffen betreiben zu können, zaubert allen Besitzern kraftstrotzender PS-Boliden ein Lächeln ins Gesicht. Doch auch der ADAC denkt in diese Richtung, wenn sein Technikpräsident ausführt: „Millionen Verbrenner sind auf deutschen Straßen unterwegs und haben noch eine lange Lebensdauer vor sich. Wenn die Klimaschutzziele im Verkehr erreicht werden sollen, braucht es eine Lösung für diesen Bestand. „ Folgerichtig setzt der ADAC langfristig auf E-Fuels und Wasserstoff aus regenerativen Quellen.

Doch wie realistisch ist diese Vorstellung von einer Renaissance des Verbrenners- jetzt mit CO2-neutralem Kraftstoff und worum dreht sich eigentlich die Diskussion?

Synthetische Kraftstoffe – sog. E-Fuels- werden nicht wie Benzin oder Diesel aus fossilen Energieträgern, sondern aus erneuerbarem Strom und CO2 gewonnen. Vereinfacht dargestellt wird in einem ersten Schritt dabei mittels Elektrolyse aus Wasser Wasserstoff erzeugt, der dann in einem weiteren Prozessschritt mit Kohlendioxid angereichert wird. Bei dem für die Elektrolyse erforderlichen Strom handelt es sich idealerweise um überschüssige Mengen aus regenerativen Quellen, die nicht ins Netz eingespeist werden können. Das Endprodukt entspricht in seiner Struktur herkömmlichen, aus Erdöl gewonnenem Benzin oder Diesel und setzt bei seiner Verbrennung nur so viel CO2 frei, wie vorher bei seiner Produktion der Atmosphäre entzogen worden war.

Bei oberflächlicher Betrachtung ist das Ergebnis frappierend. Würde es gelingen, synthetische Kraftstoffe, die vollumfänglich fossile Kraftstoffe subsituieren könnten, in ausreichendem Umfang wirtschaftlich vertretbar und klimaneutral herzustellen, könnte theoretisch auf den weiteren intensiven Ausbau der batterie-elektrischen Mobilitätsmaßnahmen verzichtet werden oder er könnte zumindest stark eingeschränkt werden. Auch wäre das Problem der zentnerschweren Belastung von Fahrzeugen durch Akkus insbesondere bei schweren Nutzfahrzeugen oder auch Flugzeugen gelöst.

Aber die Hürden, diese Technologie zur Marktreife zu bringen, sind hoch und die Anzahl der Kritiker groß.

Hauptargument gegen die Förderung von synthetischen Kraftstoffen ist ihr geringer Wirkungsgrad im Verhältnis zum Elektroantrieb. Ohne Zweifel schlägt der Elektroantrieb alle seine Konkurrenten, sei es Verbrenner oder Brennstoffzelle, bei der Effizienz um Längen. Einem Wirkungsgrad von bis zu 80 Prozent beim Elektroantrieb stehen Werte von nur 10 bis 15 Prozent bei synthetischen Kraftstoffen gegenüber. Auch wird der hohe Produktionsaufwand bei synthetischen Kraftstoffen kritisiert. Warum zunächst Wasserstoff aufwendig erzeugen und ihn dann mit CO2 anzureichern, anstatt ihn gleich als Kraftsoff zu verbrennen? BMW hatte 2012 ein Modell der 7er-Reihe unter der Bezeichnung Hydrogen 7 mit einem Wasserstoffverbrennungsmotor ausgestattet. Allerdings wurden nur 100 Exemplare dieses Modells gefertigt.

Zum Wirkungsgrad ist anzumerken, dass die Forschung zu synthetischen Kraftstoffen sich noch in einem relativ frühen Stadium befindet, was Fragen von Effizienz und Wirtschaftlichkeit angeht. Das Karlsruher Institut für Technologie untersucht derzeit Möglichkeiten der Steigerung des Wirkungsgrades synthetischer Kraftstoffe und hat in diesem Zusammenhang im September 2020 mitgeteilt, ein Wirkungsgrad von bis zu 60 Prozent sei im Bereich des Möglichen.

Nach neusten Forschungen zeigt sich zunehmend, dass sich die Frage des Wirkungsgrades relativiert. Dies bekräftigt auch Dr. David Bothe, Associate Director bei Frontier Economics im Interview mit Springer Professional: Physikalische Umwandlungsverluste innerhalb der Energieketten seien nur ein Aspekt und nicht der entscheidende. In einer CO2-neutralen Welt sei die Effizienz- und damit der Wirkungsgrad- nicht länger entscheidend, sondern vielmehr was im Gesamtsystem ökonomisch ist. Analysen würden zeigen, dass Umwandlungsverluste sich über die Nutzung vorhandener Infrastrukturen, Logistik und Speichermöglichkeiten kompensieren lassen.

Und gerade dies ist bei E-Fuels in hohem Maß der Fall. Ein großer Teil des Bestands an Fahrzeugen könnte mit geringen Nachrüstungen weiter genutzt werden. Vorgezogene Verschrottungen zugunsten von E-Fahrzeugen wären überflüssig. Die Produktion von Elektrofahrzeugen mit umweltbelastender Batterietechnik könnte zugunsten von Fahrzeugen mit umweltfreundlicher, CO2-neutraler Verbrennungstechnologie auf einem niedrigeren Niveau gehalten werden als heute geplant. Das hohe, in der Automobil- und Zulieferindustrie vorhandene technologische Niveau zum Verbrennungsmotor könnte weiter genutzt und ausgebaut werden. Das bestehende Tankstellennetz stünde für den Vertrieb zur Verfügung. Auch die Frage der Entsorgung mit umweltschädlichen Stoffen belasteter Altbatterien könnte deutlich entspannter betrachtet werden. Dies sind alles Aspekte und Argumente, die in der aktuellen klimapolitischen Diskussion in den Hintergrund zu geraten drohen.

Aber nicht nur technologische, sondern auch administrative Aspekte stehen der weiteren Förderung synthetischer Kraftstoffe und ihrer Entwicklung zur Marktreife im Weg. Insbesondere die Fahrzeughersteller verspüren wenig Motivation zu einem verstärkten Engagement. Da für die Feststellung der Emissionsgrenzwerte nur die am Auspuff gemessenen Werte von Bedeutung sind, wirken CO-neutrale Kraftstoffe wie E-Fuels sich nicht verbessernd auf die Gesamt-Flottenwerte der Hersteller aus. Diesen für die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe hemmenden Aspekt hat auch die saarländische Landesregierung erkannt und in einem Diskussionspapier zur Sicherung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in der saarländischen Automobil- und Zulieferindustrie vom November 2019 gefordert, dass treibhausgasarme Kraftstoffe auf die CO2-Flottenemissionswerte angerechnet werden dürfen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich auch weitere Stimmen aus dem politischen und industriellen Umfeld erheben und der Forderung nach einem weiteren Ausbau synthetischer Kraftstoffe Nachdruck verleihen. Neben der Automobil- und Zulieferindustrie ist insbesondere die Energie- und Mineralölwirtschaft gefordert, ihr Engagement auf diesem Feld zu intensivieren Es gibt nicht nur den einen – batterieelektrischen – Weg aus der Klimakrise. Im Sinne einer Technologieoffenheit müssen wir alle verschiedenen Alternativen untersuchen und fördern, um unsere anspruchsvollen Klimaziele zu erreichen. Und die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen ist dabei ein wesentlicher Baustein, der nicht vernachlässigt werden darf.