Zukünftige Fahrzeugfunktionen müssen virtuell abgesichert werden

Die heutige rasant fortschreitende technologische Evolution lässt die Entwicklung von Produkten zu einer zunehmend komplexen Aufgabe werden. Besonders deutlich wird dies in der Automobilindustrie und der Entwicklung autonomer Fahrfunktionen: Mechanische Aktuatoren, unterschiedliche Sensorik und vor allem komplexe Softwaresysteme müssen hier zuverlässig und in Echtzeit miteinander funktionieren – und dies in Millionen von Kombinationen aus Fahrszenarien und unterschiedlichen Umgebungsbedingungen. Hier sind die Grenzen einer physischen Absicherung mit Erprobungsträgern überschritten; die Vielfalt der Test-Cases lässt sich nur mit virtuellen und automatisierten Verfahren in vertretbarer Zeit abprüfen. Hier entstehen bei den OEMs komplette Prozess- und Toolketten, die eine kontinuierliche Absicherung von neuen Software- und Hardwareständen ermöglichen. Dies ist die aktuelle Spitze der Herausforderungen bei der virtuellen Entwicklung.

Beispiele gibt es viele, durchgängige Konzepte nur wenige

In der Breite findet virtuelle Entwicklung schon lange und in fast allen Ingenieurdisziplinen Anwendung. Sie beschränkt sich bisher allerdings weitgehend auf die Absicherung einzelner Komponenten bzw. auf spezifische Eigenschaften von Baugruppen. Die Simulation physischer Eigenschaften wie Aerodynamik oder Thermodynamik oder die Prüfung von Kollisionsfreiheit der Bauteile oder Baubarkeit des Gesamtprodukts sind die am weitesten verbreiteten Beispiele. Es mangelt an übergeordneten Strategien, Datenmodellen und Toolwelten, die die Möglichkeiten einzelner Simulationen verbinden und die Aufwände für Modellerstellung durch gemeinsame Nutzungen reduzieren. Die digitale Absicherungsstrategie ist langfristig beschrieben, aber „bottom up“ aus Einzelbausteinen nicht erreichbar. Das Einzelproblem steht nach wie vor im Fokus.

Digitale Transformation im Engineering

Kunden, die an die digitalen Dienste auf ihren mobilen Endgeräten gewöhnt sind, erwarten eine ähnlich nahtlose und individuelle Erfahrung bei fast allen Produkten, die sie verwenden. Nur verbunden mit der hohen Verlässlichkeit eines Autos, das heißt ohne App-Abstürze und andernorts tolerierter Fehler. Die Lösung liegt in einer „digital first“-Entwicklungsphilosophie mit der Schaffung eines „Digitalen Zwillings“ des Produkts. Dieser Digitale Zwilling wird in allen Aspekten – von den grundlegenden Anforderungen über die Produzierbarkeit bis hin zur praktischen Anwendbarkeit – umfassend und viel direkter abgesichert, bevor das physische Produkt überhaupt erstmalig aufgebaut wird. Modell-basiertes Entwickeln ist die Grundlage, mit der Aspekte wie Physik, Geometrie und Verhalten in Simulationen verbunden werden, um eine viel genauere Vorhersage der Leistung und Zuverlässigkeit, aber auch zur Produzierbarkeit des Endprodukts zu erhalten. Die Befähiger für diese digitale Transformation sind insbesondere die Verfügbarkeit von immer mehr Rechenleistung und fortschrittliche Simulationsfähigkeiten.

Ein kurzfristiger Vorteil der virtuellen Entwicklung – auch von Einzelaspekten – liegt darin, den Umfang physischer Prototypen erheblich zu reduzieren. Dies führt nicht nur zu einer signifikanten Kostensenkung, sondern auch zu einer Beschleunigung der Entwicklungszyklen.

Mittelfristig geht es um mehr: Durch die Integration von Kunden und Entscheidern lassen sich die oben genannten Produkterfahrungen verbessern und die Treffergenauigkeit der eigenen Produkte erhöhen. Die Umstellung auf vollständig virtuelle Entwicklungsprozesse erfordert jedoch mehr als nur den Einsatz neuer Technologien. Sie verlangt eine tiefgreifende Neugestaltung von Prozessen, Methoden, Systemen und Organisationsstrukturen. Sie ist aber auch der Schlüssel zu mehr Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in einer zunehmend digitalisierten Welt.

Ein Beitrag von Dr.-Ing. Daniel Steffen, Partner und Head of R&D & Systems Engineering, UNITY und

Philipp Wibbing, Partner und Geschäftsfeldleiter, UNITY

www.unity.de www.unity.de