Es ist kein Geheimnis, dass die globalen Märkte der Automobilindustrie insbesondere in China immer mehr von den dort heimischen Automarken bedient werden und diese Unternehmen sich jetzt auch in Bezug auf die Margen besser als die deutschen Automobilmarken in China entwickeln.
So haben im ersten Halbjahr 2024 die chinesischen Marken einen Marktanteil von über 66 % erreicht, während die deutschen Hersteller sich auf einen Wert einpendeln, der wohl dann unterhalb von 20 % liegen wird.
Die Quersubvention der deutschen Standorte der deutschen Automobilhersteller durch geschäftliche Erfolge in China wird deshalb wohl auch ein Ende haben. Auch innovationstechnisch fällt die deutsche Automobilindustrie zurück, wenn man die rasante Entwicklung der chinesischen Batterieentwicklung und der damit zusammenhängenden Elektronik und Software bewertet.
Wenn man hier in Deutschland aufholen will, müssen Strategien und Maßnahmen entwickelt werden, die das gesamte Spektrum der Möglichkeiten umfassen – von den politischen Rahmenbedingungen für die Unternehmen und Käufer über die Innovations- und Investitionsbereitschaft für deutsche Standorte bis hin zu den konkreten Maßnahmen über alle Prozesse von der Produkt- und Innovationsentwicklung über die Beschaffung, Produktion und Logistik bis hin zu einer umfassenden Qualifizierungs- und Digitalisierungsinitiative.
Das wird nicht einfach, ist aber machbar, wenn sowohl die Politik als auch die Unternehmen geeignete Maßnahmen entwickeln und sich diese in einem nachvollziehbaren Strategieplan umgesetzt und permanent weiterentwickelt werden.
Wie ein solches Vorgehen für die deutsche Autoindustrie aussehen kann, soll das folgende Papier aufzeigen. Was von diesen Maßnahmen bereits praktiziert, geplant oder auch bereits gelebt wird, werden wir in einzelnen Beispielen dann auch beim nächsten Automobilkongress des AKJ Automotive am 7./8. Mai 2025 diskutieren und ggf. neu bewerten.
Zehn strategische Ansatzpunkte, um trotz extremer Verwerfungen auf dem Weltmarkt die deutsche Automobilindustrie wieder in Schwung und Schritt für Schritt auf Erfolgskurs zu bringen.
1 – Fokus auf Elektromobilität und alternative Antriebe setzen?
Sofort – Ausbau der Forschung und Entwicklung in der Elektromobilität, Start von mehr Pilotprojekten für Wasserstoff- und synthetische Kraftstoffe. Darüber hinaus von Anfang an konsequent Einsparpotenziale für die Fertigung der Fahrzeuge und Komponenten identifizieren und damit auch die Durchlaufzeiten reduzieren.
Die Weiterentwicklung von Verbrennungstechnologie nicht verhindern – sie wird weltweit immer noch gebraucht und benötigt auch selbst die besten Konzepte der weltweit tätigen Hersteller und Zulieferer.
Innerhalb von 3 Jahren – Aufbau eines flächendeckenden Netzwerks von E-Lade- und Wasserstoff-Tankstellen in Zusammenarbeit mit Bund, Ländern und privaten Investoren. Darüber hinaus Einführung agiler Produktionsprozesse, die auf modulare Fahrzeugplattformen setzen, um so auch die Entwicklungs- und Produktionskosten für die dann breitere Fahrzeugflotte zu senken.
Innerhalb von 8 Jahren – Marktdurchdringung von emissionsfreien Antrieben mit erschwinglichen Modellen in allen Fahrzeug- und Antriebsegmenten. Gleichzeitig über geeignete Partnermodelle mit anderen Herstellern die Standardisierung und Harmonisierung der Prozesse vorantreiben.
Um diese auch bereits in den ersten 3 Jahren zu begleiten, werden politische Förderinstrumente erforderlich, diese müssen hinsichtlich der Summen und Laufdauern nachvollziehbar sein und müssen Mitnahmeeffekte ausschließen.
2 – Mehr Konsequenz bei der Digitalisierung der Wertschöpfungskette
Sofort – Analyse der bestehenden Prozesse bei den Fahrzeugherstellern und Zuliefern sowie die konkrete Identifikation digitaler Optimierungspotenziale und erste Erfolge über konkrete Pilotprojekte mit KI und Big Data. Dies ist auch in gestandenen Prozessen noch möglich, wenn auf zu kurze Amortisationszeiten verzichtet wird.
Darüber hinaus auch schon Einführung erster digitaler Zwillinge (DigitalTwins) in den Fabriken, um Produktionsabläufe virtuell zu simulieren und Engpässe zu beseitigen.
Innerhalb von 3 Jahren – Flächendeckende Implementierung von Digitalisierung und KI in der Produktion und Logistik, im Qualitätsmanagement und im Lieferkettenmanagement. Hierbei intensiver KI für die vorausschauende Wartung und Echtzeitüberwachung der Wertschöpfungskette einsetzen.
Innerhalb von 8 Jahren – Vollständige Digitalisierung der Produktions- und Supply-Chain-Prozesse inklusive der Instrumente für ein Predictive Maintenance und die Flexibilisierung von Fertigungsanlagen. Selbstoptimierung muss immer mehr zum Ziel werden.
3 – Innovationsgetriebene Förderprogramme für Zulieferer
Sofort – Aufsetzen von staatlichen Unterstützungsprogrammen und Zuschüssen, um auch die KMU auf die Transformation vorzubereiten.
Hierbei auch wieder stärker auf die Einführung schlanker Produktionsmethoden setzen, wie Lean Manufacturing und Six Sigma – Methoden, die in Deutschland immer mehr in Vergessenheit geraten sind. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Methoden ursprünglich dazu geführt haben, dass die deutsche Autoindustrie bis vor 10 Jahren sich zum Vorreiter in Prozess- und Kosteneffizienz entwickelt hat. Dieser Status ist nun im Vergleich auch zum Status in anderen europäischen Ländern verloren gegangen.
Innerhalb von 3 Jahren – Umsetzung von Transformationsprojekten bei Zulieferern, etwa in Batterietechnologie oder Bauteile für elektrische oder auch andere alternative Antriebe. Hierbei auch die Schaffung gemeinsamer Standards für Zulieferer, um die in den letzten Jahren enorm zugenommene Verschwendung in den Prozessen wieder zu reduzieren.
Innerhalb von 8 Jahren – Sicherstellung, dass Zulieferer als Wettbewerbsvorteil auch im globalen Markt erfolgreich agieren können. Das heißt auch, Aufbau eines Netzwerkes mit effizienten Zulieferern, die intensiv auch die digitale Wertschöpfung vorantreiben.
4 – Förderung von Innovationen durch Start-up-Kollaborationen
Sofort – Integration von Start-ups, die innovative Supply-Chain-Technologien wie Blockchain und/oder andere Verfahren zur Transparenzsteigerung anbieten und nutzen.
Innerhalb von 3 Jahren – Einführung von Start-up-Lösungen in der Fabrikautomatisierung und zur Optimierung von Lieferketten mit KI. Hier ist mehr Zusammenarbeit erforderlich. Diese muss letztendlich auch gefördert werden.
Innerhalb von 8 Jahren – Nutzung dieser Partnerschaften für vollständig automatisierte und vernetzte Supply-Chains.
5 – Massive Stärkung der Batteriezellproduktion in Europa
Sofort – Mehr Mut und Konkretisierung zur Planung und Finanzierung neuer Batteriefabriken und von weiteren Komponenten für alternative Antriebe. Hierbei auch mehr Einbindung europäischer Partner. Es ist davon auszugehen, dass für die Weiterentwicklung von E-Fahrzeugen auch Komponenten benötigt werden, an die man ursprünglich beim Einstieg in die E-Mobilität noch gar nicht gedacht hat wie z.B. die Wärmepumpe im Fahrzeug und neue Leitungssysteme mit Intelligenz.
Aufsetzen von unternehmensübergreifenden Produktivitätsinitiativen, um die Kosten je Zelle zu reduzieren. Ggf. sind hier in der Anfangszeit auch gezielte Förderungen erforderlich.
Innerhalb von 3 Jahren – Aufbau erster betriebsfähiger Batteriefabriken in Deutschland und Integration in Lieferketten.
Innerhalb von 8 Jahren – Volle Unabhängigkeit von asiatischen Herstellern durch ausreichende Produktionskapazitäten in Europa. In diesem Zusammenhang muss auch der Aufbau von Netzwerken effizienter Zulieferer vorangetrieben werden.
Ergänzend hierzu gehört auch die Weiterentwicklung anderer Komponenten für E-Mobilität und anderer Antriebsarten als neues Alleinstellungsmerkmal der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie.
6 – Mehr Nachhaltige Produktion und Kreislaufwirtschaft
Sofort – Einführung von nachhaltigen Standards in der Produktion (z. B. CO₂-neutralen Werken) und Pilotprojekte zur Nutzung recycelter Materialien.
Innerhalb von 3 Jahren – Aufbau eines funktionierenden Systems für die Kreislaufwirtschaft, um Batterien und andere Materialien effizient zu recyceln. Die aktuell entstehenden Initiativen arbeiten noch zu isoliert und verschwenden so enorme Ressourcen.
Innerhalb von 8 Jahren – Vollständige Umstellung auf klimaneutrale Produktion und Integration der Kreislaufwirtschaft in die gesamte Lieferkette.
7 – Globale Marktstrategie ausbauen
Sofort – Identifikation von Wachstumsmärkten (insbesondere Indien, aber auch Afrika und Südostasien) und Aufbau strategischer Partnerschaften mit den aktuellen Innovationstreibern auch in China.
Innerhalb von 3 Jahren – Lokalisierung der Produktion und Verkaufsstrategie in den Zielmärkten, um auf regionale Anforderungen einzugehen. Hierbei gilt es auch die Beschaffungsstrategien aufzubauen, die mehr auf heimische Produktion in der Nähe der Automobil- und Zulieferwerke setzen.
Innerhalb von 8 Jahren – Führungsrolle in diesen Märkten durch Marktanteilsgewinne und weltüberspannend vernetzte und angepasste Produktlinien. Dies gilt insbesondere für die Komponenten, die die Elektromobilität und andere alternative Antriebskonzepte unterstützen
8 – Mehr Attraktivität bei den Finanzierungsmodellen für Kunden
Sofort – Einführung von Leasing-, Abonnement- und Finanzierungsmodellen für die aktuell verkauften Fahrzeuge. Diese müssen mehr Sicherheit für die Finanzierung bei den Käufern bieten und auch zusätzliche Fahrzeugwechsel in der Laufzeit ermöglichen.
Auch muss die Marktattraktivität der Fahrzeuge deutscher Hersteller deutlicher im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals herausgestellt werden.
Warum nicht wie TESLA für die eigenen Fahrzeuge „Ein Jahr elektrisch laden umsonst“? Das kommt an und kostet die Hersteller 500 bis 1.000 € in diesem Jahr und ist sicher attraktiver als ein Rabatt auf den Kaufpreis und die Freude ist bei jedem Ladevorgang präsent.
Innerhalb von 3 Jahren – Skalierung dieser Modelle, um für Elektrofahrzeuge und Modelle anderer alternativer Antriebe inklusive der unterstützenden digitalen Mobilitätsdienste attraktiv zu sein.
Innerhalb von 8 Jahren – Transformation hin zu einer serviceorientierten Mobilitätsmarke mit flexiblen Finanzierungsangeboten.
9 – Mehr Stärkung der Marke „Made in Germany“
Sofort – Start von Marketingkampagnen, die die Qualität, Nachhaltigkeit und Sicherheit deutscher Fahrzeuge betonen. Dieser Ansatz kann auch auf Infrastrukturen wie Produktions- und Logistikanlagen erweitert werden.
Hierbei müssen dann auch die in den Fahrzeugen und Systemen eingesetzten Innovationen noch deutlicher herausgestellt werden. Nur den Fahr-Spaß zu betonen, reicht dann nicht mehr.
Innerhalb von 3 Jahren – Entwicklung eines Markenkerns der jeweiligen deutschen Hersteller, der auch Elektromobilität, andere neue Antriebsarten und die Digitalisierung umfasst.
Innerhalb von 8 Jahren – Internationale Dominanz durch „Made in Germany“ als Synonym für hochwertige, nachhaltige Mobilität, Produktion und Logistik bei PKW und Nutzfahrzeugen.
10 – Mehr Arbeitskräftequalifikation und Umschulungsprogramme
Sofort – Entwicklung und Förderung von Umschulungsprogrammen in Schlüsseltechnologien wie Elektromobilität, Software, Digitalisierung und KI.
Die hierfür dann erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen müssen auch mehr die Fähigkeiten der Mitarbeiter für die Teams der dann generierten Innovationen deutlicher betonen.
Innerhalb von 3 Jahren – Flächendeckende Implementierung von Ausbildungsprogrammen und Erreichung eines hohen Qualifikationsniveaus bei den Belegschaften – auch der KMU als innovative Zulieferer für Komponenten und Anlagen.
Innerhalb von 8 Jahren – Transformation der Arbeitskräfte hin zu Experten für Zukunftstechnologien, die auch global wettbewerbsfähig sind.
Diese 10 zeitlich gestaffelten Maßnahmen schaffen bei richtiger Dosierung die Grundlage für eine nachhaltige Wiederbelebung und langfristige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie.
Auch wenn zur Umsetzung dieser 10 Maßnahmenpakete für die gesamte Bandbreite noch viel mehr Detaillierung erforderlich ist, lassen sich jedoch hieraus jeweils eigene Vorgehensweisen und Prioritäten ableiten.
Entsprechende Initiativen für eine Weiterentwicklung und Bündelung erfolgreicher Maßnahmenpakete für die Automobil- und Zulieferindustrie sollten außer von den betroffenen Unternehmen der Hersteller und Zulieferer auch von Seiten des VDA und des VDIK sowie anderer Verbände der Hersteller und Zulieferer sowie auch von den bundes- und landespolitischen Verantwortlichen für die Industrieentwicklung angestoßen werden.
Beispiele und Vorgehensweisen wie das gelingen kann, gibt es hier sicher genug. Auf der politischen Ebene einzelner Bundesländer gibt es bereits erste Initiativen, die hier mit den betroffenen Unternehmen und einzelnen Instituten Ideen und Masterpläne entwickeln.
Was aktuell im Kreis der Hersteller und Zulieferer jetzt machbar, angestoßen wurde oder Strategie ist, werden wir in einzelnen Beispielen auch beim nächsten Automobilkongress des AKJ-Automotive am 7./8. Mai 2025 in Saarbrücken mit 18 Rednern und Moderatoren der OEM, Zulieferer und Dienstleister in Vorträgen, Plenumsdiskussionen, Workshops, Werksbesuchen kennenlernen und diskutieren (vgl. www.automobilkongress.de ).
AKJ Automotive – Geschäftsstelle – c/o Institut für Produktions- und Logistiksysteme – Prof. Dr. Klaus-Jürgen Schmidt – Heinrich-Barth-Str. 32 – 66115 Saarbrücken – Telefon: +49 681-95431-0 – Mobil +49-171-4540836 – Mail: klaus-juergen.schmidt@iplnet.de