Interview mit Armin Gehl, Geschäftsführer des autoregion e.V., Saarbrücken

Sind wir auf dem richtigen Weg hin zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors oder erweisen sich die Versprechungen der Politik in der konkreten Umsetzung als zu ambitioniert? Hat man insbesondere bei alternativen Antriebsarten auf das richtige Pferd gesetzt oder laufen wir Gefahr, wichtige Entwicklungen und technologische Chancen zu verschlafen? Ein Diskurs über Möglichkeiten und konkrete politische Weichenstellung als Beitrag zum Klimawandel im Verkehrssektor.

Die Ampelkoalition hat in ihrer Koalitionsvereinbarung ein ambitioniertes Programm zur umfassenden Dekarbonisierung des Verkehrssektors vorgelegt. So sollen noch vor 2035 in Deutschland nur noch CO2-neutrale Pkw zugelassen werden. Wie sehen Sie die Realisierung dieser ehrgeizigen Zielsetzung?

Armin Gehl: Grundsätzlich ist an der Zielrichtung der Festlegungen des Koalitionsvertrages nichts Wesentliches auszusetzen. Allerdings müssen wir feststellen, dass die Realisierung nicht in allen Feldern gelingt bzw. dass politisch die falschen Weichenstellungen erfolgen oder dass gewisse Bereiche nicht mit der erforderlichen Intensität bearbeitet werden.

Wo sehen Sie Weichenstellungen, die in die falsche Richtung weisen?

Armin Gehl: Auch wenn sich der Bundesverkehrsminister in seinen öffentliche Äußerungen zum Prinzip der Technologieoffenheit bekennt, sehen wir in der politischen Umsetzung ein eindeutiges Primat bei der Förderung der E-Mobilität zulasten anderer alternativer Antriebsformen wie Wasserstoff oder synthetischer Kraftstoffe – sogenannter E-Fuels. Auch die voreilige politische Stigmatisierung des Verbrennungsmotors, der als Kolbenmotor nach Auffassung aller Fachleute noch über ein erhebliches umweltneutrales Entwicklungs- und Innovationspotential beim Einsatz CO2-freier Kraftstoffe verfügt, halten wir für einen Schritt in die falsche Richtung.

Welche konkreten politischen Maßnahmen stützen Ihre Auffassung?

Armin Gehl: Die Priorisierung der E-Mobilität kommt schon allein im zur Verfügung stehenden Fördervolumen zum Ausdruck. Bisher wurde die Anschaffung von Elektroautos über den sog. Umwelt-Bonus mit einem Volumen von 4,6 Milliarden Euro gefördert – Tendenz steigend. Für die Installation von privaten Ladestationen für Elektroautos wurde das Fördervolumen kürzlich auf 400 Millionen aufgestockt. Für die Erforschung, Erprobung und Herstellung synthetischer Kraftstoffe stehen nur rund 100 Millionen Euro staatliche Fördermittel zur Verfügung. Dies ist ein krasses Missverhältnis und wird der potenziellen Bedeutung von E-Fuels in keiner Weise gerecht und bedarf einer dringenden Korrektur.

Geht denn die Ankündigung von Wirtschaftsminister Habeck, die Förderung von Hybrid-Fahrzeugen einzustellen oder deutlich zu reduzieren, in die richtige Richtung?

Armin Gehl: Der Ausweg aus dem Missverhältnis staatlicher Förderung kann nicht darin bestehen, eine an sich sinnvolle Förderung von Antriebsarten zugunsten oder zulasten anderer Antriebssysteme zu reduzieren, einzustellen oder auszuweiten. Die E-Mobilität ist neben anderen Antriebsarten ein fundamental wichtiger Baustein unserer Dekarbonisierungsstrategie. Und der Hybridantrieb – die Kombination von Verbrennungs- und Elektroantrieb – stellt neben dem reinen batterieelektrischen Antrieb eine bedeutende Variante zumindest als Überbrückungstechnologie dar. Gerade vor dem Hintergrund einer nach wie vor nicht hinreichenden Ladeinfrastruktur insbesondere in ländlichen Gegenden stellen Hybridfahrzeuge eine sinnvolle Alternative zum reinen Elektrofahrzeug dar. Der Fahrer eines solchen Fahrzeuges braucht sich keine Sorgen zu machen, wegen mangelnder Reichweite oder nicht vorhandener Ladesäulen mit seinem Fahrzeug liegen zu bleiben.

Die Einstellung oder Reduzierung der Förderung von Hybridfahrzeugen bedeutet aber auch eine weitere Stigmatisierung des Kolbenmotors. Schon in der Vergangenheit hat der Kolbenmotor – damals noch mit fossilen Kraftstoffen – sein enormes Entwicklungspotential im Hinblick auf Verbrauchsreduktion und Umweltfreundlichkeit unter Beweis gestellt. Und dieses Potential ist gerade mit nicht-fossilen Kraftstoffen bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Die Kolbenmotortechnologie ist ein ausgesprochen wichtiges Strukturelement gerade unserer Automobil-Zulieferindustrie. Der schleichende Wegfall der Kolbenmotorenentwicklung- und -fertigung bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Wegfall von Arbeitsplätzen in einem nach wie vor für sein hohes technologisches Niveau international anerkannten Industriesektor. Allein im Saarland sprechen wir hier über eine Größenordnung von ca. 40.000 Arbeitsplätzen, die unmittelbar von der Verbrennertechnologie abhängen.

Warum verläuft der Ausbau der Ladeinfrastruktur so schleppend?

Armin Gehl: Offensichtlich war die ursprüngliche Zielsetzung zu ambitioniert. Aber dennoch macht der Ausbau der Ladeinfrastruktur bemerkenswerte Fortschritte. Deutschland verfügt derzeit über rund 28.000 öffentliche Ladestationen. Allerdings steigt die Zulassungsquote von E-Fahrzeugen stärker als die Zahl der Ladestationen. Positiv wirkt sich die steigende Zahl privater Lademöglichkeiten aus – nicht zuletzt bedingt durch die intensive staatliche Förderung. Nachteilig ist nach wie vor das Missverhältnis zwischen städtischen Ballungsräumen und mehr ländlich geprägten Regionen sowie die in der Fläche nicht ausreichende Zahl von Schnell-Ladestationen. Ein deutlicher Nachholbedarf besteht bei sogenannten Ladehubs für den Schwerlastverkehr entlang der bedeutsamsten Fernverkehrsverbindungen. Das Gleiche gilt übrigens für die Versorgung mit Wasserstoff-Tankstellen für den LKW-Verkehr. Hier sind uns unsere Nachbarländer einige Schritte voraus.

In welchen Entwicklungsfeldern sehen Sie den höchsten Bedarf an Maßnahmen zur weiteren Dekarbonisierung unseres automobilen Verkehrssektors?

Armin Gehl: Neben dem Ausbau der Wasserstofftechnologie sehe ich hier in erster Linie die Entwicklung von E-Fuels. In jedem Szenario zum Ausstieg aus der Verbrennertechnologie bleibt das Schicksal von weltweit 1,2 Milliarden und in Deutschland rund 67 Millionen Bestandsfahrzeugen mit klassischem Verbrennermotor offen. Zur Lösung dieses Problems drängt sich die Entwicklung und breitflächige Einführung von synthetischen Kraftstoffen nahezu auf. Es muss uns gelingen, synthetische Kraftstoffe in ausreichendem Umfang wirtschaftlich vertretbar und klimaneutral herzustellen. Damit könnte ein großer Teil der Bestandsfahrzeuge mit geringer Nachrüstung weiter genutzt werden. Die Produktion von Elektrofahrzeugen mit umweltbelastender Batterietechnik könnte zumindest teilweise durch die Produktion von Fahrzeugen mit umweltfreundlicher, CO2-neutraler Verbrennungstechnologie ersetzt werden. Damit wäre auch das hohe, für den internationalen Wettbewerb bedeutsame technologische Niveau zum Verbrennungsmotor einschließlich der davon abhängigen Arbeitsplätze für unsere Automobil- und Zulieferindustrie gesichert. Auch die Infrastrukturfrage erschiene in völlig anderem Licht. Für synthetische Kraftstoffe stünde das bestehende Tankstellennetz zur Verfügung und auf den kostenintensiven Ausbau der Ladeinfrastruktur insbesondere in ländlichen Regionen könnte zumindest teilweise verzichtet werden. All diese Vorteile von E-Fuels politisch zu ignorieren, ist schlicht töricht.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die kürzlich vom EU-Parlament getroffene Entscheidungen, ab 2035 keine Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen?

Armin Gehl: Das vom EU-Parlament beschlossene „Aus“ für den Verbrennungsmotor ist ein industriepolitisches Desaster, das viele Arbeitsplätze in der Automobil-Zulieferindustrie im Saarland und der Großregion kosten kann. Die einseitige Festlegung auf den batteriebetriebenen Elektromotor ist ein Irrweg, der unser einzigartiges Technologie Know-how im Motorenbau leichtfertig verspielt mit unabsehbaren Folgen für Arbeitsplätze, Industriestrukturen und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Diese folgenschwere Entscheidung würde auch das Ende der Entwicklung von klimaneutralen, strombasierten Kraftstoffen bedeuten, die dringend für die Versorgung der weltweit rund 1,5 Milliarden Bestandsfahrzeuge benötigt werden. Ich kann nur hoffen, dass die Bundesregierung ihr Bekenntnis zur Technologieoffenheit ernst nimmt und entsprechend auf den weiteren parlamentarischen Prozessverlauf in Brüssel Einfluss nimmt.

Der Krieg in der Ukraine wird – zumindest mittel- und langfristig – zu einer fundamentalen Umgestaltung unserer Energieversorgungssysteme führen. Welche Konsequenzen wird dies für die Dekarbonisierung des Verkehrs haben?

Armin Gehl: Die Folgen dieses Konflikts sind in ihren konkreten Auswirkungen – auch angesichts der nach wie vor andauernden Kampfhandlungen – derzeit nur ganz schwer abzuschätzen. Dennoch sind gewisse Tendenzen durchaus erkennbar. Sicherlich ausgeschlossen werden kann, dass es zu einer Renaissance fossiler Energieträger kommen wird. Die Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen wird zu einem deutlichen Ausbau erneuerbarer Energien führen. Dies wird den Druck auf eine schnellere Dekarbonisierung des Verkehrssektors erhöhen. Die Umgestaltung des Energiesektors wird weiterhin zu einem veränderten Preisgefüge der verschiedenen Energieträger untereinander führen und damit die Wirtschaftlichkeit alternativer Antriebsarten wie E-Fuels und Wasserstoff in einem anderen Licht erscheinen lassen. Hier werden sich neue Chancen und Möglichkeiten für alternative Antriebsarten eröffnen.

Herr Gehl, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Dr. Rudolf Müller, freier Journalist, Mainz.

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