Vibrationen, Hitze, Staub, Salz- und Spritzwasser: Die typischen Bedingungen im direkten Umfeld eines Lkw-Motors stellen hohe Ansprüche an jede einzelne Komponente. Eines der besonders beanspruchten Bauteile ist die Koppelstange im Ventilbereich der Abgasrückführung (AGR) oder zur Ansteuerung anderer Abgasklappen. Die hier integrierten Gelenklager müssen eine Lebensdauer von mehr als einer Million Kilometer beziehungsweise mehr als zehn Millionen Lastwechsel aufweisen. Zusätzlich ist erforderlich, dass diese Komponenten Temperaturen von bis zu 350 °C gewachsen sind. Standard-Gelenklager stoßen unter diesen Bedingungen schnell an ihre Grenzen: Bei 350 °C sind typische Schmierstoffe nicht mehr einsetzbar, Teflon (PTFE) basierende Gleitlager sind auf maximal 250 °C limitiert, bevor sie an ihre Grenzen stoßen. Wiederum andere Lagermaterialien, die beispielsweise Bronze als Materialgrundlage haben, erfüllen die Lebensdaueranforderungen nicht. Eine herausfordernde Ausgangssituation, für die der Engineering- und Technologiepartner invenio eine nachhaltige sowie kostengünstige Lösung entwickeln konnte: Ein patentiertes Hochtemperatur-Gelenklager.

Die Anforderungen an Ingenieure in der Automobilentwicklung sind vor allem eines: vielseitig. Für neue, wirkungsvolle und nachhaltige Lösungen sind Kreativität, Erfahrung und Durchhaltevermögen gefragt. So gilt es auch, Rückschläge nach beispielsweise langlaufenden Tests positiv aufzunehmen und diese neuen Erkenntnisse in weitere Optimierungen zu übertragen. Seit 35 Jahren sind die invenio-Experten Partner von OEMs und Zuliefern der Automobilbranche und deshalb ein geschätzter Ansprechpartner für individuelle Lösungen. Auf Basis dieses langjährigen und breiten Know-hows entwickelte das Unternehmen ein innovatives Gelenklager, das auch den erschwerten Bedingungen im Bereich eines Lkw-Motors standhält. Zwei solcher Lager sind in eine Koppelstange integriert, die die Stellbewegung des Aktors zum AGR-Ventil überträgt – eine Regelung, die zur Einhaltung der Euro-6-Norm für Abgasgrenzwerte beiträgt. Inzwischen gibt es vier Varianten der Zugstange, von denen jährlich mehr als 100.000 Exemplare produziert werden.

Heiße Luft lässt das Gelenklager kalt

Termindruck, lange Fahrstrecken und Laufzeiten – gerade im Bereich der Nutzfahrzeuge müssen die Motor-Komponenten enorm viel Leistung erbringen. Jedes einzelne Bauteil muss in einer Umgebung funktionieren, die durch teils starke Faktoren wie Temperaturunterschiede, Feuchtigkeit, Spritz- bzw. Salzwasser gekennzeichnet ist. Unter Umständen können auch Rückstände von Abgasen und Ölen sowie Vibrationen zur Belastung werden. Insbesondere im Ventilbereich der AGR kann sich die Umgebungsluft auf bis zu ca. 350 °C aufheizen. Am Markt angebotene Standard-Gelenklager gelangen hier schnell an ihre Grenzen. „Als wir die Kundenanfrage mit den Details und notwendigen Anforderungen erhalten haben, sahen wir uns einer spannenden, aber auch interessanten Herausforderung gegenüber. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir selbst noch keine explizite Erfahrung in der Entwicklung von Hochtemperatur-Gelenklagern gesammelt. Als Entwicklungs- und Technologieunternehmen sind wir allerdings in verschiedenen Branchen und Disziplinen zu Hause. Dadurch konnten wir vielseitiges und umfassendes Know-how bündeln, auf neue Herausforderungen übertragen und gezielt anwenden.“

Der Leiter der Produktentwicklung am Standort Rüsselsheim, Leo Zeimetz, verantwortete die gesamte Prozesskette von der Ideenfindung bis zur Serienfertigung. Sein Team analysierte detailliert die Anforderungen an das Gelenklager, konnte Parameter identifizieren, Schwerpunkte ausloten und erfolgreich in die Lösung integrieren. „Typische Werkstoffpaarungen für Gleitlager kamen bei dieser Anwendung nicht infrage. Wir suchten nach Trockenschmierstoffen und einem geeigneten Partnerwerkstoff, um bei Temperaturen von -40 °C bis 350 °C ein wartungsfreies, robustes und spielarmes Lager zu realisieren. Durch umfangreiche, im Hause durchgeführte Tests unter verschiedensten Lastbedingungen konnten wir letztlich die optimale Lösung identifizieren. Der größte Vorteil war für uns, dass der Weg vom Entwickler zum Prototypenbauer bis zum Versuchsingenieur bei invenio sehr kurz ist. Diese direkte Vernetzung der einzelnen Abteilungen war schließlich der Garant für eine schnelle und verlässliche Prozesskette.“

Ein weiterer Vorteil: Durch eine geeignete Werkstoffauswahl in Kombination mit einer geschickten Konstruktion sind Lagerschale und Lagerkugel so aufeinander abgestimmt, dass selbst bei unterschiedlicher thermischer Expansion der einzelnen Komponenten das Lagerspiel über den gesamten Temperaturbereich nahezu gleichbleibt.

Lösungen aus einem Guss

invenio versteht sich als Full-Service-Partner, der den gesamten Produktentstehungsprozess übernimmt. „Eines unserer schlagkräftigsten Argumente ist die breite Aufstellung, kombiniert mit der nötigen Flexibilität. Wir bieten unser Wissen nicht nur unterschiedlichsten Kunden aus verschiedenen Branchen an, sondern nutzen es gleichzeitig für unsere eigene Unternehmensentwicklung“, erklärt der CEO der invenio AG, Kai F. Wißler. „Beispielsweise musste für die Koppelstange unsere Fertigung optimiert werden. Bei solchen Stückzahlen bietet sich insbesondere die Automatisierung (https://www.youtube.com/watch?v=twd2EStM9wI) an. In Konsequenz konzipierten und entwickelten wir für uns entsprechende Anlagen, die nun inhouse teils die Fertigung und teils die Qualitätssicherung automatisieren.“

Die Sonderanlagen wurden so ausgelegt, dass eine 24-Stunden-Fertigung gewährleistet werden kann, Lagerspiel und Reibmoment werden automatisiert gemessen und überprüft. Alle nötigen Entwicklungsleistungen übernehmen die einzelnen Abteilungen des Mittelständlers selbst. Kai F. Wißler sieht invenio daher nicht nur als Unternehmen mit mehreren einzelnen nationalen und internationalen Standorten, sondern als eine Einheit mit eingespielten Schnittstellen. „Dadurch können wir Konzepte und Lösungen aus einem Guss bieten. Da wir neben der Produkt- auch die Prozessentwicklung inklusive der Sonderanlagen und Betriebsmittel für unsere eigenen Fertigungsstandorte übernehmen können, ist die Koordination der einzelnen Leistungen effektiver und reibungsloser. Dabei ist es gleich, ob wir den gesamten Prozess übernehmen oder Teilbereiche wie beispielsweise die Elektrik und Elektronik oder die Berechnung und Simulation ausführen.“

Bildunterschrift: Das in die Koppelstange integrierte Hochtemperatur-Gelenklager ist wartungsfrei und garantiert ein geringes Lagerspiel.