Von Dr. Olaf Sauer, Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), Karlsruhe

Viele Unternehmen sind begeistert von den Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz (KI), tun sich jedoch schwer mit ihrem flächendeckenden Einsatz. Gestartete Initiativen bleiben (noch) zu oft im Stadium eines ‚Proof-of-Concept‘, statt in die breite Nutzung zu gehen. Für den effektiven Einsatz von KI in der produzierenden Industrie wird in Karlsruhe „KI-Engineering“ als Disziplin vorangetrieben, z.B. zur schnellen Optimierung von Fertigungsprozessen. Die neue Karlsruher Forschungsfabrik® ist dafür eine Produktions-, Entwicklungs- und Testumgebung. Mitarbeiter aus Unternehmen und Wissenschaftler der beteiligten Institute können hier kreativ und frei vom Tagesgeschäft zusammen mit KI-Experten Neues erdenken, entwickeln, prototypisch umsetzen und verbessern – bis hin zur Umsetzung im industriellen Maßstab auf den Versuchsflächen der Fabrikhallen.

KI-basierte Prozessoptimierung

Heute setzen Fertigungsunternehmen Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (ML) ein, um unerwartetes Verhalten von Maschinen oder Komponenten in der Produktion vorausschauend zu erkennen und so Produktionsstillstände zu vermeiden. Manche entwickeln bereits Modelle zur Vorhersage der Qualität und nutzen sie, um Prozessparameter zur Laufzeit zu verbessern. Über die Optimierung bestehender Prozesse hinaus kann die KI aber auch dabei unterstützen, neue Fertigungsverfahren schnell zur industriellen Reife zu bringen. Angesichts der aktuell bestehenden Herausforderungen, z.B. Marktschwankungen oder einer immer höheren Zahl von Produktvarianten, können Ingenieure Produktionsprozesse kaum noch vorab vollständig ausspezifizieren. Früher haben sie diese Prozesse aufwändig entwickelt und daraus Anlagen abgeleitet, diese Anlagen ausgeplant, konfiguriert, zusammengebaut und in Betrieb genommen. Heute laufen diese Schritte teilweise parallel ab.

Als „Unreife Prozesse“ bezeichnen wir Fertigungsprozesse, die noch nicht vollständig ausoptimiert sind, weil sie entweder neue Verfahren einsetzen, neue Werkstoffe verarbeiten oder komplexe Wechselwirkungen zwischen Eingangsmaterial, Prozesszustand und externen Einflussgrößen auftreten. Die Idee hinter der KI-basierten schnellen Reifmachung ist es, den Prozess schon in einem sehr frühen Stadium in einem industriellen Maßstab umzusetzen und Produkte zu fertigen. Eingangs höhere Ausschussraten werden in Kauf genommen, wenn dadurch schnell ausreichende Daten für die nachfolgende Prozessoptimierung entstehen. Mittels (Über-)Instrumentierung durch erweiterte Sensorik und Aktuatorik wird der Prozess zunächst für maschinelle Lernverfahren zugänglich gemacht. Ingenieure und Data Scientists beobachten die Produktion mit Hilfe der gelernten Modelle und entwickeln gemeinsam datengetrieben eine Regelung des Prozesses, die sein Verhalten gezielt anpasst. So kann der Markt schon viel früher mit den neuen Produkten bedient werden. Mit der erheblich kürzeren Time-to-Market können die Zielmärkte neuer Produkte schon erobert werden, bevor die Fertigungsprozesse bezüglich Herstellkosten optimiert sind, z.B. in der Fertigung von Batteriezellen oder –modulen, der automatisierten Elektromotorenfertigung oder bei der Herstellung von Brennstoffzellen.

Systematisches Vorgehen durch KI-Engineering

Letztlich muss der Einsatz von KI-Methoden und -Werkzeugen, gerade in der industriellen Produktion, noch so systematisiert werden, dass damit ein verlässliches Engineering unter Wahrung der Anforderungen an (funktionale und IT-) Sicherheit und Robustheit gewährleistet ist. Wir nennen dies „KI-Engineering“. Bei KI-Engineering geht es darum, systematisch KI-basierte Lösungen zu entwickeln und zu betreiben, verstanden als integraler Bestandteil von Systemen, die komplexe Aufgaben erfüllen. Insofern ergänzt KI-Engineering die Grundlagenforschung zu KI und ML und schlägt die Brücke zu den Ingenieurwissenschaften. Das Ziel lautet, KI- und ML-Methoden anhand typischer Fragestellungen und Vorgehensweisen von Ingenieuren nutzbar zu machen und sie mittels der Methoden der Informatik in passende Systemarchitekturen zu überführen, z.B. hinsichtlich Verfügbarkeit, Resilienz und Erweiterbarkeit. Das Kompetenzzentrum für KI-Engineering (CC-KING) in Karlsruhe widmet sich speziell diesen Aufgaben. Damit zahlt es auch auf die KI-bezogenen Aufgaben ein, die in der Karlsruher Forschungsfabrik im Vordergrund stehen.

Die Karlsruher Forschungsfabrik

Jedes Unternehmen braucht eine Roadmap für seinen eigenen Weg in die Digitalisierung seiner Produkte und Prozesse. Ein Angebot dafür ist die langfristige und zielgerichtete Kooperation von Industriepartnern mit der Karlsruher Forschungsfabrik. Auf 5.000 m² Produktionsfläche mit modernster Infrastruktur setzen wir gemeinsam mit Industriepartnern industrienahe KI-Projekte um-

Die Initiatoren der Karlsruher Forschungsfabrik arbeiten selbst schon interdisziplinär: Experten der Werkstoff- und Verfahrenstechnik (Fraunhofer ICT), Fertigungs- und Produktionstechnik (wbk am Karlsruher Institut für Technologie), sowie der Informationstechnik und industrienaher KI (Fraunhofer IOSB) bilden die Basis. Vorteile für die Industriepartner sind die Ausstattung, vorhandene Lösungsbausteine, in denen viele zeitraubende Entwicklungen vorgedacht und schnell einsatzfähig sind, sowie die Nähe zu qualifiziertem Personal der Spitzenforschung in KI und ML bei Fraunhofer und dem KIT.

Neben der klassischen Projekt-Kooperation bieten die Partner in der Forschungsfabrik sogenannte »Corporate Innovation Labs« an, in die Unternehmen ihre Mitarbeitenden als „Embedded Scientists“ für einen definierten Zeitraum entsenden. Sie arbeiten gemeinsam im Team mit Fraunhofer- und/oder KIT-Experten an vom Unternehmen definierten Aufgabenstellungen für innovative Produkte, neue Produktionsprozesse oder datenbasierte Dienstleistungen. Ein Lenkungskreis überprüft regelmäßig die Ergebnisse und steuert ggfs. angepasste oder neue Aufgaben in den Innovationsprozess ein. Die Embedded Scientists erhalten die Möglichkeit zur Promotion und kehren nach Abschluss als Multiplikatoren ins Unternehmen zurück.

Ausblick

Mit Industrie 4.0 verfügt Deutschland über einen Exportschlager – aber die Möglichkeiten von Industrie 4.0 sind noch lange nicht ausgeschöpft. Für uns heißt dies, die Digitalisierung von Produkten, Produktionsprozessen und deren Ausrüstung sowie die zugehörigen IT-Systeme und -Infrastrukturen als integrale Bestandteile zu sehen, z.B. in Bezug auf das Beherrschen innovativer Fertigungsverfahren. Der Einsatz von datengetriebenen KI- und ML-Verfahren in industriellen Anwendungen wird dabei zu einem strategischen Vorteil gegenüber Wettbewerbern. Wenn Deutschland und seine Unternehmen ihre Spitzenstellung in der Produktion qualitativ hochwertiger Güter verteidigen möchten, muss auch hier eine Spitzenstellung eingenommen werden. Voraussetzung für den effektiven Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen ist, dass anwendungsnahe Forschung auf diesem Gebiet und die klassischen Ingenieurdisziplinen zusammenwachsen und so die Unterschiede in Methoden und Vorgehensweisen überbrücken. Die Karlsruher Forschungsfabrik ist für diese Aufgabe konzipiert und geht die Entwicklung zusammen mit Industriepartnern an. Dabei sind wir immer auf der Suche nach spannenden Anwendungsfällen und „harten Nüssen“ aus der Industrie, die nur interdisziplinär ‚geknackt‘ werden können.

Weitere Informationen im eBook: http://www.log-x.de/index.php/verlagsprogramm/208-informatik-in-der-fabrik