Seit über 20 Jahren bedient die INFOSERVE GmbH die Automotive-Branche mit IT-Dienstleistungen. Wir sprachen mit Dr. Stefan Leinenbach, Geschäftsführer, und Dr. Philipp Walter, Prokurist und Leiter IT, über Vergangenheit und Zukunft, und was aus ihrer Sicht erfolgreichen Digitalisierungsprojekten gemein ist.

Über 20 Jahre sind in der IT eine Ewigkeit. Wie haben sich die Anforderungen in der Automotive-Branche gewandelt?

Stefan Leinenbach: Anfang des Jahrtausends war z. B. das Internet noch das beherrschende Thema: Vernetzung, verteilte Client-/Server-Anwendungen, Webseiten, Verfügbarkeit, Vertraulichkeit. Das ist heute Standard, selbst unter den inzwischen viel schärferen Sicherheits- und Datenschutzanforderungen. In den letzten Jahren stehen vor allem Industrie 4.0, Digitalisierung, IoT und neuerdings auch Künstliche Intelligenz im Fokus. Mit isolierten Anwendungen wie Predictive Maintenance lassen sich von Anfang an hohe Einsparpotenziale realisieren und gleichzeitig die Grundlage für eine weitergehende Digitalisierung schaffen, die dann Transparenz und Flexibilität in der Produktion insgesamt steigern. Angesichts der aktuellen Umwälzungen und Ungewissheiten im Automobilbereich ein wichtiger Baustein, um sich schnell neuen Anforderungen anpassen zu können.

Philipp Walter: Im Gegensatz zu früher muss man heute nicht mehr alles selbst entwickeln, sondern kann auf viele bewährte Hard- und Softwarebausteine aufsetzen. Was aber immer ein Thema bleiben wird, ist Investitionssicherheit: je nachdem, wie ich eine IT-Lösung aufbaue, hält sie mehr oder weniger lang. Wir sehen heute viele alte Produktions-IT-Silos, in denen Unternehmen gefangen sind und die sie mit wachsendem Aufwand am Leben erhalten müssen, trotz nicht mehr unterstützter Windows-Versionen, alter Schnittstellen, selbstgebastelter Datenbanken mit Performanceproblemen, etc. Diese gordischen IT-Knoten einzubinden ist tatsächlich oft die größere Herausforderung, als ein KI-Verfahren zu entwickeln.

Wird man in Zukunft nicht fertige IoT- und KI-Lösungen kaufen können, so wie man heute Office-Software kauft?

Stefan Leinenbach: Das Ökosystem bewegt sich auf allen Ebenen, das stimmt. Man kann heute zwischen Dutzenden Herstellern, Technologien und Architekturansätzen wählen, und es kommen täglich neue hinzu. Es ist inzwischen auch schemenhaft ein Konsens erkennbar, wie solche Lösungen technisch strukturiert sein sollten, und die Enden einer solchen Verarbeitungskette sind ja nach wie vor fest: die Automatisierungs-, MES- und ERP-Systeme einerseits, die Werker und Entscheider andererseits. Allerdings werden heute viele herstellerspezifische Inseln und Cloud-Lösungen angeboten, wo Unternehmen eigentlich Interoperabilität und eigene Datenhoheit benötigen.

Philipp Walter: Außerdem müssen solche Lösungen genauso individuell wie die jeweilige Fertigung sein. Man kann das nicht von oben nach unten angehen, indem man erst eine Plattform anschafft, und dann schaut, welche Probleme sie lösen kann. Es wäre natürlich schön, wenn die Software automatisch den Use Case erkennen könnte, aber das ist noch einige Jahrzehnte hin. (lacht) Nein, man würde ja auch nicht erst eine passend aussehende Maschine kaufen, wenn man ein neues Teil produzieren möchte, um dann zu schauen, ob sich daraus eine Konstruktion ableiten lässt. Die besten Erfahrungen haben wir mit konkreten isolierten Problemen gemacht, die wir lösen. Predictive Maintenance war in unseren Projekten z. B. immer ein dankbarer Start, weil man schnell einen ROI hat und die einmal angebundenen Datenquellen aus SPS, MES, ERP usw. weitere Use Cases einfacher machen.

Individuelle Lösungen klingen aber nach viel Pflegeaufwand und weiteren Silos.

Philipp Walter: Eine solche IT-Lösung muss natürlich genauso regelmäßig gewartet werden wie eine Maschine. Wie beim Austausch von Verschleißteilen muss sie regelmäßig aktualisiert werden. Wie beim Condition Monitoring von Maschinen überwachen wir sie dauerhaft mit einer 24/7-Bereitschaft. Ansonsten setzen wir auf eine Plattformstrategie, bei der die verschiedenen Module sauber entkoppelt sind, sodass wir auch in 10 Jahren noch ein Modul gegen ein anderes tauschen können und nicht ein weiteres überaltertes Silo schaffen.

Stefan Leinenbach: Individualität ist in diesem Fall eine Stärke, denn wir starten nicht mit einer teuren Software, sondern in kleinen Schritten von wenigen Personentagen Umfang. Unser Bottom-Up-Ansatz ist daher fast risikolos. Wir verändern die bestehende IT nicht, sondern lesen höchstens daraus. Auch alte Industriesteuerungen sind dabei kein Problem. Wenn ein Use Case aus irgendeinem Grund nichts bringt, entstehen keine Folgekosten. Bisher war es aber noch immer so, dass aus dem System, was wir aufgebaut haben, schnell weitere Anwendungsfälle entstanden und abgedeckt werden konnten.

Was empfehlen Sie also konkret, wenn es um Digitalisierungsprojekte geht?

Stefan Leinenbach: Setzen Sie sich am Anfang überschaubare Ziele – das ist für uns Erfolgsfaktor Nummer Eins bei Digitalisierungsprojekten. Es gehen keine Synergiepotenziale verloren, wenn man sich zu Beginn nur mit einem einfachen Anwendungsfall auseinandersetzt. Im Gegenteil: wenn man sich zuerst auf einen einzelnen Durchstich fokussiert, kann weniger daneben gehen, als wenn man erst eine riesige Infrastruktur aufbaut für Use Cases, die man noch gar nicht ausgelotet hat. Wir sorgen dafür, dass es keine weitere Insel wird, sondern eine flexible, moderne, erweiterbare Basis, die auch in vielen Jahren noch dem Stand der Technik entspricht.