OEM&Lieferant Special-Edition „Autoregionen International“

7 im Premiumsegment mit Verbrennungsmotoren unantastbar sei. Diese strategische Arroganz führte zu einer gefährlichen Form der Betriebsblindheit. Man konzentrierte sich auf die Perfektionierung des Bekannten – des hocheffizienten Verbrennungsmotors – und vernachlässigte die disruptive Kraft neuer Paradigmen wie Elektromobilität und Software. Der im Jahr 2015 aufgedeckte Abgasskandal war ein Brandbeschleuniger für die Krise. Die direkten finanziellen Folgen waren verheerend. Diese finanziellen Mittel fehlten in der entscheidenden Phase der Transformation. Milliarden, die für die Entwicklung von Elektroplattformen, Softwarearchitekturen und Batterietechnologien hätten investiert werden müssen, flossen in die Bewältigung der Vergangenheit. Doch der hieraus folgende indirekte Schaden war weitaus größer. Der Skandal wirkte wie ein „Innovations-Sinkloch“. Er band über Jahre hinweg immense Managementkapazitäten und die besten Ingenieursressourcen. Anstatt die Zukunft zu gestalten, war die Industrie damit beschäftigt, eine „Schummel-Software“ zu korrigieren und die rechtlichen Folgen zu managen. Neben den strategischen Fehlern leidet die Industrie unter handfesten strukturellen Nachteilen am Heimatstandort. Die im internationalen Vergleich hohen Energie- und Personalkosten machen die rentable Produktion von preisgünstigeren Einstiegsmodellen in Deutschland nahezu unmöglich. Ein weiteres operatives Problem ist die geringe Auslastung der Werke. Viele deutsche Produktionsstätten von VW, BMW und Mercedes liefen im Schnitt nur mit einer Auslastung von rund zwei Dritteln, was die Fixkosten pro Fahrzeug in die Höhe treibt und die Wettbewerbsfähigkeit weiter untergräbt. OEM&Lieferant: Unübersehbar ist der Rückstand unserer Industrie bei der Elektromobilität gegenüber China. Was macht China besser und was müssen unsere OEM tun? Prof. Schmidt: Der Rückstand gegenüber China ist in der Tat unübersehbar und, was noch wichtiger ist, er ist systemischer Natur. China hat die Elektromobilität nicht einfach nur als neuen Antriebsstrang begriffen, sondern als Instrument einer umfassenden industriepolitischen Strategie zur Erlangung der globalen Technologieführerschaft. Was wir heute sehen, ist offensichtlich das Resultat eines über ein Jahrzehnt konsequent umgesetzten Plans. Chinas Vormachtstellung ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis einer massiven, staatlich orchestrierten Anstrengung, die seit 2009 mit Investitionen von über 230 Milliarden US-Dollar ein komplettes Ökosystem für Elektrofahrzeuge geschaffen hat. Dieses staatlich geschaffene Ökosystem ermöglichte es den chinesischen OEMs, sich auf das zu konzentrieren, was der Markt verlangt: schnelle Innovationszyklen, eine tiefe Integration digitaler Dienste, die auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnitten sind, und eine aggressive Preispolitik. Die deutsche Industrie hat diese Entwicklung fundamental unterschätzt. Man betrachtete China viel zu lange als lukrativen Exportmarkt für Premium-Verbrenner und ignorierte die Geschwindigkeit und Radikalität der lokalen Transformation hin zur E-Mobilität. Die Transformation in China begann drei bis vier Jahre früher als in Europa und war von Anfang an auf Volumen ausgelegt, während deutsche Hersteller auf hochpreisige Nischenmodelle setzten. Die erste Generation deutscher Elektroautos gingen an den Bedürfnissen der jungen, technikaffinen chinesischen Kundschaft vorbei, für die das digitale Erlebnis im Auto oft wichtiger ist als traditionelle Tugenden wie die Verarbeitungsqualität des Armaturenbretts. Um in China – und damit global – wieder konkurrenzfähig zu werden, bedarf es eines radikalen Umdenkens. Die alten Strategien funktionieren nicht mehr. Die Herausforderung hat sich fundamental gewandelt. Früher war es für deutsche Hersteller ein Problem des Marktzugangs. Heute ist es ein Problem der Produktwettbewerbsfähigkeit. Die einstige „Heimat jenseits der Heimat“ ist zum härtesten Wettbewerbsumfeld der Welt geworden, und nur wer die lokalen Spielregeln lernt und akzeptiert, wird dort eine Zukunft haben. OEM&Lieferant: Im Bereich von Software und Digitalisierung zeigen sich im Rahmen der Fahrzeugentwicklung immer wieder deutliche Schwächen. Das Beispiel VW mit seinem Softwareunternehmen CARIAD steht dafür nur beispielhaft. Sind die bestehenden Strukturen unserer Unternehmen noch zeitgemäß oder bedarf es anderer industrieller, mehr ITorientierter Partnerschaften? Prof. Schmidt: Ihre Frage trifft den wundesten Punkt der deutschen Automobilindustrie. Die Schwächen im Bereich Software sind nicht nur ein technisches Problem, sondern ein Symptom einer tiefen kulturellen und strukturellen Krise. Die bestehenden, auf Hardware-Entwicklung optimierten Strukturen sind für das Zeitalter des „Software-Defined Vehicle“ (SDV) nicht mehr zeitgemäß. Das CARIAD-Beispiel zeigt, dass das traditionelle automobile Entwicklungsmodell am Ende ist. Ein modernes Fahrzeug ist kein mechanisches Produkt mit einigen Steuergeräten mehr, sondern ein „Computer auf Rädern“. Die Zukunft gehört dem Software-Defined Vehicle (SDV), das eine radikal andere Architektur erfordert. Das Kernprinzip des SDV ist die Trennung von Hardware und Software. An die Stelle von hunderten dezentralen Steuergeräten (ECUs) von ebenso vielen Zulieferern tritt eine zentralisierte, hochleistungsfähige Rechnerarchitektur. Diese Architektur ermöglicht es, Fahrzeugfunktionen über Software zu definieren und über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs per „Over-the-Air“ (OTA) Updates zu aktualisieren, zu verbessern und sogar neue Geschäftsmodelle zu implementieren. Dieser Wandel ist keine Evolution, sondern sogar eine Revolution. Die deutsche Industrie kann diese gewaltige Lücke in der Softwarekompetenz, verschärft durch einen Mangel an rund 137.000 IT-Fachkräften in Deutschland, nicht mehr allein und nicht schnell genug schließen. Die einzige realistische und erfolgsversprechende Strategie liegt in einer radikalen Öffnung für Partnerschaften. Diese Partnerschaften müssen jedoch anders aussehen als die traditionelle OEMZulieferer-Beziehung. Es geht nicht mehr darum, eine „Black Box“ mit vordefinierten Spezifikationen zu bestellen. Es geht um Co-Entwicklung, um die Bildung von Ökosystemen und um Umsatzbeteiligungsmodelle mit den besten Technologieunternehmen der Welt. OEM&Lieferant: Stichwort Batteriezellenentwicklung und -produktion. Gerade hier ist der Rückstand unserer Industrie besonders signifikant. Auch wenn alle OEM in diesem Bereich investieren, bewegen wir uns angesichts der produzierten Stückzahlen eher im Bereich von Manufakturen und noch weit entfernt von einer bedarfsgerechten Massenproduktion … Weiterlesen: https://t1p.de/lg3ve  https://www.iplnet.eu  LinkedIn: https://t1p.de/7em1h  Ergänzende Informationen sowie weiterführende Links und Übersichten zum Interview finden Sie unter https://t1p.de/nl4pf 

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