OEM&Lieferant Special-Edition „Autoregionen International“

6 OEM&Lieferant: Wirft man einen kritischen Blick auf den Zustand der deutschen Automobilindustrie – wie sieht ihre Bestandsaufnahme aus? Prof. Schmidt: Die Frage, ob die deutsche Automobilindustrie nach einem beispiellosen Ansehens- und Marktanteilsverlust jemals zu alter Stärke zurückfinden kann, ist mehr als nur eine rhetorische Übung; sie ist die zentrale strategische Herausforderung auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Über mehrere Jahrzehnte hinweg galten Marken wie Mercedes-Benz, BMW, Audi und Porsche als unangefochtene globale Benchmarks für Qualität, Ingenieurskunst und Innovation. Fahrzeuge wie die S-Klasse oder der 7er waren nicht nur Automobile, sondern Statussymbole, die technologische Meilensteine in Motorentechnik, Sicherheit und Komfort setzten. Doch diese Ära der unangefochtenen Dominanz scheint abrupt zu Ende gegangen zu sein. Vom eigenen Erfolg verwöhnt, hat die Branche mehrere tektonische Verschiebungen entweder zu spät erkannt oder fundamental falsch interpretiert. Die Transformation zur Elektromobilität, die Revolution durch das softwaredefinierte Fahrzeug und der Aufstieg Chinas vom größten Absatzmarkt zum gefährlichsten Wettbewerber haben die Grundfesten des deutschen Geschäftsmodells erschüttert. Die Konsequenzen sind unübersehbar: sinkende Marktanteile in Schlüsselmärkten, technologische Rückstände in Zukunftsfeldern und ein alarmierender Absturz in internationalen Qualitätsrankings, der das Premiumversprechen infrage stellt. Die Metapher aus der Boxwelt – „They never come back“ – mag zwar oft widerlegt worden sein, doch sie beschreibt die gefühlte Schwere der aktuellen Lage treffend. Es geht nicht um einen verlorenen Kampf, sondern um die Frage, ob die Industrie die Fähigkeit besitzt, sich für eine völlig neue Art des Wettbewerbs neu zu erfinden. They never come back? – Die deutsche Automobilindustrie am Scheideweg Zur aktuellen Situation der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie sprach Dr. Rudolf Müller (OEM& Lieferant) mit Prof. Dr. Klaus-J. Schmidt, Board Member, Executive Consulting, Expert Production & Logistik, EVP Institut für Produktion & Logistik, Hochschullehrer, Saarbrücken Diese beruhen auf einer komplexen Mischung aus einer teilweise strategischen Selbstüberschätzung, zu starkem technologischen Zögern, struktureller Trägheit und einem dann doch größeren Vertrauensverlust. Es war kein einzelner Fehler, vielmehr eine größere Kaskade von Fehlentscheidungen und bzw. Versäumnissen, die uns an diesen Punkt geführt hat. Der vielleicht fundamentalste Fehler war die tief verwurzelte Überzeugung, dass die über Jahrzehnte aufgebaute Dominanz OEM&Lieferant: Wenn man über eine Therapie für die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie spricht, sollte man sich zunächst bei der Diagnose Klarheit über die Schwächen und deren Ursachen verschaffen. Deshalb hier auch die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Prof. Schmidt: Die Frage zielt auf den Kern des Problems. Die aktuelle Krise ist eigentlich kein plötzliches Ereignis, sondern das Ergebnis einer über Jahre andauernden Erosion von Wettbewerbsvorteilen. Grafik: © SUSI&James Prof. Dr. Klaus-J. Schmidt

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