OEM&Lieferant 2/2024

11 dieser Regelung wurde sie von Ihnen zwar grundsätzlich begrüßt, aber als nicht weitgehend genug auch kritisiert. Können Sie aus der praktischen Anwendung schon von ersten Erfahrungen mit dieser Regelung berichten? Es ist noch zu früh, um zu einer abschließenden Beurteilung zu kommen. Tatsache ist jedoch, dass wir noch keine Veränderung aufseiten der OEMs im Vergleich zu der Zeit vor dem Inkrafttreten des EU-Data-Act feststellen können. Nach wie vor geben die Fahrzeughersteller die Daten nicht in der Form frei, wie es für einen fairen Wettbewerb erforderlich wäre. Insoweit bleiben wir bei unserer Feststellung, dass die Regelung bezogen auf den Kfz-Sektor nicht weit genug geht. Und wir bleiben deshalb bei unserer Forderung nach einer sektoralen Regelung, die der Komplexität der Fahrzeuge gerecht wird. Dazu zählen Fragen des gleichberechtigten Zugangs zu Fahrzeugdaten und fahrzeuggenerierten Daten bis hin zu Aspekten der Cyber Security. Da es hierbei nicht nur um Verbandsinteressen, sondern auch um Fragen des Verbraucherschutzes geht, sind wir zuversichtlich, dass wir trotz einer starken OEM-Lobby künftig Erfolge in diesen Fragen erzielen werden. In den ergänzenden Leitlinien der um fünf Jahre verlängerten Gruppenfreistellungsverordnung für den Kraftfahrzeugsektor (GVO) wurde das Zugangsrecht zu fahrzeuggenerierten Daten neu eingefügt und damit einer seit vielen Jahren vom GVA erhobenen Forderung entsprochen. Hat sich diese Regelung in der Praxis bisher bewährt? Auch hier können wir im täglichen Geschäft noch keine entscheidende Veränderung feststellen. Wichtig war zunächst, dass es überhaupt zu einer Verlängerung der Regelung bis 2028 gekommen ist. Wenngleich wir uns eine rechtlich verbindliche Verordnung gewünscht hätten. Die in den ergänzenden Leitlinien zur Bereitstellung fahrzeuggenerierter Daten getroffene Regelung entspricht insoweit nicht unseren Vorstellungen. Unsere Bemühungen zielen nun darauf, dass in einer weiteren Verlängerung der GVO den dynamischen technologischen Entwicklungen sowie der Digitalisierung Rechnung getragen wird und mit entsprechender Verbindlichkeit im Verordnungstext dann auch seinen Niederschlag findet. Der Prozess hin zur Elektrifizierung des Verkehrssektors scheint ins Stocken zu geraten. Die Zahl der Neuzulassung von Elektrofahrzeugen geht – nicht zuletzt aufgrund des Wegfalls der staatlichen Förderung – zurück. Selbst das Datum 2035 für das sog. Verbrennerverbot auf EU-Ebene wird zunehmend infrage gestellt. Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für Ihre Mitgliedsunternehmen? Wie von mir bereits oben ausgeführt, halte ich die Einhaltung des von unserer Regierung gesetzten Zeitplans zur Dekarbonisierung des Fahrzeugverkehrssektors für nicht mehr realistisch. Hinzu kommt, dass das sog. Verbrennerverbot der EU von verschiedenen politischen Parteien zunehmend offen infrage gestellt wird. Ganz zu schweigen davon, dass laut Umfragen circa 70 Prozent der Bevölkerung sich gegen ein Verbrennerverbot ausspricht. Andererseits kommen wir an der Tatsache nicht vorbei, dass wir mit dem Pariser Abkommen von 2015 und dem Green Deal auf EU-Ebene international verbindliche und nicht mehr umkehrbare Verpflichtungen zur Verringerung von Treibgasemissionen eingegangen sind, die wir als Ziel auch nicht infrage stellen. Allerdings halte ich den Weg zum Erreichen dieser Zielvorgaben auf nationaler Ebene für falsch. Die einseitige politische Festlegung auf Batterie-elektrische Antriebe hat zu einer Vernachlässigung alternativer Antriebsarten wie E-Fuels, Wasserstoff oder Brennstoffzelle geführt. Hier wünsche ich mir für die Zukunft eine größere Technologieoffenheit, um den Bedürfnissen der Märkte und Kunden einerseits und den Möglichkeiten von Industrie, Handel und Serviceunternehmen andererseits stärker Rechnung zu tragen. Industrie und Werkstätten müssen frühzeitig in politische Weichenstellungen einbezogen werden, um künftig notwendige Investitionsentscheidungen mit größerer Planungssicherheit vornehmen zu können. Nahezu monatlich erscheinen neue, bisher unbekannte und hauptsächlich aus China kommende Automarken auf dem deutschen Markt. Diese Fahrzeughersteller organisieren den Vertrieb ihrer Fahrzeuge in erster Linie online. Keines verfügt hingegen über ein flächendeckendes Kundendienst- oder ServiceNetz. Eröffnen sich hier neue Chancen für Ihre Mitgliedsunternehmen? Die zunehmend hohe Präsenz chinesischer Fahrzeughersteller auf unseren Straßen ist nicht zuletzt auch eine Konsequenz nicht zu Ende gedachter politischer Leitentscheidungen im Rahmen des Green Deal auf EU-Ebene. Es bleibt abzuwarten, wie seitens der Politik reagiert wird. Protektionistische Maßnahmen, wie Einfuhrzölle auf chinesische Fahrzeuge, werden bereits diskutiert. Von dieser Entwicklung profitieren einige unserer Mitgliedsunternehmen, die gezielt als mögliche Partner in einem aufzubauenden Service-Netz angesprochen werden. Wir rechnen hier langfristig mit einem Potenzial von circa dreißig bis fünfzig unterschiedlichen Marken, wobei zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer beurteilt werden kann, welche Marken sich auf dem europäischen und deutschen Markt durchsetzen werden. Der jüngste Economic ExpertsSurvey, die vierteljährliche Umfrage des ifo Instituts, hält das Risiko einer Rezession in Deutschland bis Ende 2024 für beachtlich. Auch andere angesehene Wirtschaftsinstitute kommen zu einer ähnlichen Einschätzung. Die stagnierende wirtschaftliche Entwicklung hat sie als Verband veranlasst, in einem Positionspapier zur aktuellen Situation in Deutschland generell – auch über ihre unmittelbaren Verbandsinteressen hinaus – Stellung zu beziehen. Was hat Sie dazu veranlasst? Bei unseren Mitgliedern handelt es sich in erster Linie um mittelständisch geprägte Unternehmen, die angesichts der wirtschaftlichen und politischen Situation in tiefer Sorge um die weitere Entwicklung sind. Sie können und wollen den Aussagen und Erklärungen der Bundesregierung nicht mehr folgen, wonach die Gründe für die stagnierende Wirtschaftsentwicklung vornehmlich in nicht unmittelbar beeinflussbaren Faktoren wie dem Ukraine-Krieg, der Energiekrise und der Weltwirtschaft zu finden seien. Tatsächlich sind die Mehrzahl der wirtschaftlich belastenden Faktoren, wie eine überbordende Bürokratie oder Produktion und Handel einschränkende Auflagen hausgemacht. Dokumentations- und Meldepflichten im Rahmen des neuen Lieferkettengesetzes, neue Verpflichtungen bei Arbeits- und Brandschutz oder unüberschaubare Regelungen in der Abfallwirtschaft sind nur einige Beispiele einer insbesondere durch kleinere und mittelständisch organisierte Unternehmen nicht mehr beherrschbaren Regelungsflut. Wir sind der Auffassung, dass angesichts dieser Situation dringender Handlungsbedarf besteht, um den Bestand unserer Mitgliedsunternehmen langfristig zu sichern und drohende Arbeitsplatzverluste abzuwenden. Die Resonanz auf unser Positionspapier war insbesondere bei anderen Verbänden durchgängig positiv. Wir hatten das Positionspapier bewusst als offenen Brief an die Minister für Finanzen/Wirtschaft und Klimaschutz/Digitales und Verkehr/Arbeit und Soziales formuliert. Eine Reaktion erhielten wir ausschließlich von dem Finanzministerium. Alle anderen Ministerien ließen unseren offenen Brief unbeantwortet. Herr Vollmar, wir danken Ihnen für das Gespräch. Das Interview führte Dr. Rudolf Müller. www.gva.de

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